Private versuchen mit Alltagswaren Geschäfte zu machen. Regierung sagt ihnen den Kampf an
Von Volker Hermsdorf
Neben der US-Blockade und der Covid-19-Pandemie, zwei Hauptursachen für die derzeitigen Versorgungsmängel in Kuba, machen Spekulanten und Geschäftemacher den Bürgern zunehmend das Leben schwer. Durch gezielte Hamsterkäufe reduzieren private »Händler« das ohnehin knappe Angebot an Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs weiter. Stark nachgefragte Produkte bieten sie dann auf der Straße oder im Internet zu überhöhten Preisen an. Die Regierung hat den Schiebern jetzt den Kampf angesagt und ein Maßnahmenbündel aus Aufklärungskampagnen, Überzeugungsarbeit und strafrechtlicher Verfolgung beschlossen. Kubanische Medien informieren täglich über neue Entwicklungen und Details.
Am Sonnabend berichtete Tele Cristal, ein regionaler Fernsehsender in der Provinz Holguín, dass die Polizei 90 Säcke Weizenmehl bei einem selbstständigen Bäcker und Restaurantbetreiber beschlagnahmt habe. Das Mehl stamme aus dem Lager der staatlichen Bäckereikette »Cadena Cubana del Pan«, dessen Verwalter es unterschlagen und an den privaten Bäcker »auf eigene Rechnung« verkauft habe. Wie ein Journalist des Senders errechnete, reiche die gestohlene Ware zur Herstellung von mehr als 33.000 Broten, die in den staatlichen Verkaufsstellen je nach Qualität zwischen drei und zehn Peso (10 bis 34 Eurocent) kosteten. Dort werde das subventionierte Brot durch solche »Transaktionen« dann aber knapp, während der private Hersteller seine Waren meist zu deutlich höheren Preisen anbiete. Laut Tele Cristal seien vier Beteiligte festgenommen worden.
In den Geschäften fehlen oft Reis, Kaffee, Fleisch, Wurstwaren, Konserven, Zahnpasta, Waschmittel, Seife und andere Toilettenartikel. Eine Ursache dafür sind fehlende Devisen und Liquidität, ein Mangel, der durch verschärfte US-Sanktionen, Einschränkungen der Produktion und Schließung von touristischen Einrichtungen infolge der Pandemie sowie rückläufige Exporterlöse extrem zugenommen hat. Zugleich steigen die staatlichen Ausgaben für medizinische Produkte und Geräte, die wegen der US-Blockade oft über dem Weltmarktpreis erworben werden müssen.
Die Folgen sind im kubanischen Alltag unübersehbar. »Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass man in Kuba einen Laden ohne lange Schlangen findet«, beschreibt die russische Agentur Sputnik die Lage, die zwar nicht neu, in den vergangenen Monaten jedoch für viele immer unerträglicher geworden ist. Angesichts der Pandemie sind die Warteschlangen zudem eine mögliche Gefahrenquelle für Ansteckungen.
Diese Situation wird verschärft durch »Coleros«, das sind Personen, die Plätze in der Schlange (Cola) »reservieren« und für zehn bis 100 konvertierbare Peso (CUC) – zwischen 8,50 und 85 Euro – denen anbieten, die aus beruflichen oder familiären Gründen nicht lange anstehen können. Oft werden alle Plätze in einer Warteschlange von »Coleros« blockiert, und »normale Bürger« haben tagelang keine Chance, ein Geschäft zu betreten. Das machen sich die oft mit »Coleros« zusammenarbeitenden »Revendedores« (Wiederverkäufer) zunutze, die gehamsterte Waren und Produkte, die oft nicht in die Regale gelangen, zu überhöhten Preisen anbieten.
»Wir haben es mit einer organisierten Kette von Leuten zu tun, die sich an dem bereichern, was das Land mit hohen Kosten erworben hat, um die Versorgung zu sichern«, erklärte Präsident Miguel Díaz-Canel in der vergangenen Woche auf einem Treffen, bei dem ein konzertiertes Vorgehen gegen die Gesetzesverstöße beschlossen wurde. Nach Angaben des KP-Zentralorgans Granma wurden landesweit 3.054 »Eingreifbrigaden« mit insgesamt mehr als 22.000 Mitgliedern gebildet, um die illegalen Tätigkeiten zu unterbinden. Die örtliche Polizei soll dabei von Angehörigen der Revolutionären Streitkräfte, Sondereinheiten des Innenministeriums, den Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR) sowie Mitgliedern der Gewerkschaften und des Frauenverbandes unterstützt werden.
Díaz-Canel warnte davor, die Täter als Opfer und den Mangel als Entschuldigung für deren Vergehen darzustellen. »Sie sind darauf aus, Engpässe bei der Versorgung zu schaffen«, die sie dann mit der Unfähigkeit des sozialistischen Wirtschaftsmodells begründeten »und nicht mit der Blockade«, zitierte Granma den Staatschef am vergangenen Mittwoch. Das sei unehrlich und ziele darauf ab, diejenigen zu schützen, die der Bevölkerung schaden, erklärte Díaz-Canel und versicherte: »Die Straßen in Kuba gehörten dem arbeitenden Volk und nicht den Spekulanten.«