Russlands Außenminister Lawrow besucht Brasilien und Lateinamerika. Ziel ist multipolare Welt
Von Volker Hermsdorf
Es ist eine neue Schlappe für die US- und EU-Sanktionspolitik: Wenige Tage nach dem Staatsbesuch von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in China erwartet Brasiliens Regierung Ende April den russischen Außenminister Sergej Lawrow. Wie Moskaus Chefdiplomat am Donnerstag ankündigte, wird er auf seiner Lateinamerika-Reise auch Kuba, Nicaragua und Venezuela besuchen. Vor allem die Einladung durch die größte Wirtschaftsmacht Lateinamerikas gilt als weitere Niederlage für den Versuch der NATO-Länder, Russland zu isolieren.
Sein Land begrüße die Entscheidung lateinamerikanischer Regierungen, sich den Sanktionen des Westens nicht anzuschließen, schrieb Lawrow in einem Beitrag über »zukunftsorientierte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen Russland und Lateinamerika«, der am Donnerstag vom russischen Außenministerium veröffentlicht und von mehreren lateinamerikanischen Medien im Wortlaut übernommen wurde. Er verwies auf die Zunahme der russischen Weizenexporte in die Region um 48,8 Prozent im vergangenen Jahr. Auch habe es mehr Lieferungen von Düngemitteln und Erdölprodukten gegeben.
»Wir befürworten eine weitere Stärkung der Zusammenarbeit auf der Grundlage gegenseitiger Unterstützung, Solidarität und Berücksichtigung der Interessen des jeweils anderen«, so Lawrow über das Ziel seiner Reise. Er verwies auf die bereits bestehenden strategischen Allianzen Moskaus mit Brasília, Caracas, Havanna und Managua. Russland sei nicht daran interessiert, dass die Region »zu einem Schlachtfeld zwischen den Mächten wird«, erklärte er. »Die sich rasch verändernde geopolitische Landschaft« eröffne aber »neue Möglichkeiten für die Entwicklung einer für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit«.
Die argentinische Agentur Télam hob in dem Zusammenhang Moskaus Interesse an einem Dialog mit der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac) hervor. Quellen des russischen Außenministeriums hätten bereits die Möglichkeit eines Treffens zwischen Vertretern der Staatengruppe Celac und der Eurasischen Wirtschaftsunion, die sich aus Russland, Belarus, Kasachstan, Armenien und Kirgistan zusammensetzt und an der neben Moldawien und Usbekistan auch Kuba als Beobachter teilnimmt, in Aussicht gestellt, berichtete Télam.
In Brasilien will Lawrow mit Lula da Silva unter anderem über die Erweiterung der BRICS-Gruppe sprechen, bei der sich Argentinien bereits um Aufnahme beworben hat. Dem Bündnis aufstrebender Volkswirtschaften gehören derzeit neben Brasilien und Russland nur Indien, China und Südafrika an. Auf ihrem Gipfeltreffen in Südafrika will die Organisation im August über die Mitgliedschaft Argentiniens entscheiden. Der Beitritt anderer lateinamerikanischer Länder wie Mexiko und Kolumbien wird für möglich gehalten.
Lateinamerika spiele eine immer wichtigere Rolle in der multipolaren Welt, betonte Lawrow in seinem Artikel. Bei den Gesprächen in Brasília geht es auch um die Möglichkeit, eine einheitliche BRICS-Währung auf der Grundlage eines Korbs nationaler Währungen einzuführen, die es ermöglichen würde, den Dollar als ausschließliche Tauschwährung im internationalen Handel zu vermeiden. Lula hatte diese Möglichkeit bei seinem Besuch in China betont. »Es ist kein Zufall, dass die Bemühungen um die Abschaffung des US-Dollars im Außenhandel und um die Schaffung einer nicht vom Westen kontrollierten Infrastruktur für Transport, Logistik, Banken-, Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen weltweit zugenommen haben«, kommentierte Lawrow die Äußerungen.
»Heute geht es darum, ob die Weltordnung wirklich gerecht, demokratisch und polyzentrisch sein wird, wie es in der UN-Charta steht, die die souveräne Gleichheit aller Länder proklamiert, oder ob die Vereinigten Staaten und die von ihnen angeführte Koalition ihre Agenda auf Kosten anderer Länder umsetzen werden, einschließlich des Umschichtens von Ressourcen nach ihren Bedürfnissen«, so der russische Außenminister. Neben wirtschaftlichen Themen wollen Lawrow und Lula unter anderem auch den brasilianischen Vorschlag zur Lösung des Ukraine-Konflikts erörtern. Moskau würde die Bildung eines »Friedenskomitees« begrüßen, das sich aus neutralen Ländern zusammensetzt und von Brasilien geleitet wird.
Textquelle: junge Welt: Ausgabe vom 17.04.2023, Seite 6 / Ausland