Kuba: Westliche Medienkampagne gegen sozialistische Inselrepublik. Auslandskubaner solidarisieren sich mit Landsleuten. Ein Gespräch mit José Conde Masdiaz
Von Kristian Stemmler
Im Juli gab es Unruhen auf Kuba, die unter anderem durch einen Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten ausgelöst worden waren. Wie haben Sie diese Proteste in Ihrer Heimat wahrgenommen, was wissen Sie darüber?
Zuerst war es ein Schock, denn wir sind nicht daran gewöhnt, dass so etwas in unserem Land passiert. Die Sender hierzulande verbreiteten ein Bild von Chaos und Gewalt, ja fast von einem Volksaufstand. Obwohl wir wissen, wie die psychologische Kriegführung gegen jedes Land aussieht, das für das kapitalistische Weltestablishment unbequem ist – und Kuba ist seit dem 1. Januar 1959 ein Opfer davon –, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, nach verlässlichen Informationen zu suchen. Wir haben wir Familie und Freunde in Kuba angerufen und begonnen, deren Informationen mit den offiziellen Informationen zu vergleichen.
Wir wussten, dass seit langem versucht wird, ›die Straßen aufzuheizen‹, dass mit hasserfüllten Botschaften zu Ungehorsam und Gewalttaten aufgerufen wird. Andererseits kennen wir auch die Tradition der Kubanischen Revolution, ihren Humanismus, und wir waren zuversichtlich, dass das, was in den Netzen kursierte, abgesehen von einigen möglichen Exzessen der Polizei, nicht die ganze Wahrheit war.
Westliche Medien zeigten tagelang Bilder von angeblich regierungskritischen Protesten auf Kuba. Sie versuchen so, die sozialistische Regierung zu verunglimpfen. Wie sehen Sie die Berichterstattung der Medien?
Die Berichterstattung war grauenhaft, mit einem großen Mangel an journalistischer Ethik, was zeigt, wessen Interessen die internationalen Massenmedien vertreten und wer die sozialen Netzwerke kontrolliert. Einige dieser Medien sind immer noch entschlossen, eine andere Realität zu zeigen und wiederholen immer wieder die gleichen Bilder. Aber das schlimmste ist, dass sie, um Demonstrationen zu zeigen, die keine Vandalenakte waren, Aufnahmen benutzen »mussten« von Kundgebungen, zu denen das revolutionäre Volk hinausgegangen war, um die Revolution zu verteidigen.
Die kubanische Regierung beschuldigte Washington, dass gekaufte Systemkritiker und soziale Medien eingesetzt wurden, um ein verzerrtes Bild der Proteste zu erzeugen. Sehen Sie das auch so?
Die kubanische Regierung war in der Lage, zwischen den Gruppen und Motivationen zu unterscheiden; von Beginn dieser Aktionen an brachte Präsident Miguel Díaz-Canel zum Ausdruck, dass nicht alle Teilnehmer Vandalen, Randständige oder Konterrevolutionäre waren. Es gab Menschen, die mit ihren Beschwerden und Sorgen vielleicht recht hatten und mit denen die Führung des Landes versucht hat, einen konstruktiven Dialog zu führen, sowohl vorher als auch nachher. Klar ist, dass es sich um eine von außen gesteuerte Operation handelte, die mit zahlreichen wirtschaftlichen und technologischen Mitteln und mit finanzieller Unterstützung der Regierung der Vereinigten Staaten durch ihre Agenturen durchgeführt wurde, die die Destabilisierung Kubas um jeden Preis anstreben. Diese Unterstützung ist kein Geheimnis. Da die Leute wissen, dass sie in dieser Welt, in der wir leben, nicht bestraft werden, veröffentlichen sie sogar die Höhe der Gelder, die sie an jene Gruppen geben, die von diesen Agenturen unter Vertrag genommen werden.
Die wirtschaftlichen Probleme in Ihrer Heimat sind durch die Covid- 19-Pandemie verschärft worden, verursacht worden sind sie aber vor allem durch die Sanktionen der USA. Präsident Joseph Biden verweigert trotz früherer Zusagen die Rücknahme der Strafmaßnahmen. Wie bewerten Sie das?
Wie ich in einem Beitrag in meinem persönlichen Blog am 3. Juli schrieb, hat Präsident Biden die kubanisch-amerikanischen Wähler verraten, die seinen Versprechen geglaubt haben, dass er zu Obamas Kuba-Politik zurückkehren würde. Es war zwar kein goldenes Zeitalter, aber für die Bürgerinnen und Bürger gab es eine Atempause, viele private Unternehmen begannen zu florieren, und die ökonomische Lage der Familien verbesserte sich. Die kubanische Regierung begann, Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Wirtschaftsstruktur an diese neuen Bedingungen anzupassen, neue Wege zu erschließen und den Staat, der mit einer Kriegswirtschaft arbeiten musste, zu entlasten.
Mit der Präsidentschaft von Donald Trump, die Anfang 2017 begann, änderte sich die Lage.
Ja, all diese Fortschritte wurden mit der Machtübernahme durch Trump zunichte gemacht. Das US-Establishment hat sich nie für das Wohlergehen des kubanischen Volkes interessiert, auch nicht für die Menschenrechte oder für eine Demokratie, die nicht seiner Interpretation von Demokratie entspricht. Bekannt ist ein Memorandum eines Beraters des US-Außenministeriums, in dem bereits 1961 die Strategie gegenüber Kuba skizziert wurde und von der man kein Jota abgewichen ist: das kubanische Volk zur Verzweiflung bringen, damit es gezwungen ist, sein politisches System zu ändern. In den vier Jahren seiner Amtszeit hat Trump mehr als 240 Durchführungsverordnungen genehmigt, um die kubanische Wirtschaft zu strangulieren und die Erholung des Landes zu erschweren; viele davon sogar, als die Pandemie bereits wütete.
Kuba hat keinen Zugang zu internationalen Finanzinstituten, und die Banken scheuen sich, Geschäfte mit Personen auf der Insel zu tätigen, da ihnen hohe Geldstrafen drohen. Menschen in den USA können ihren Verwandten in Kuba keine Geldüberweisungen schicken, und auch für diejenigen unter uns, die in anderen Regionen der Welt leben, ist es schwierig, da die für internationale Überweisungen genutzten Dienste in Kuba nicht arbeiten dürfen. Die Blockade ist eine Realität, die alle Kubaner sehr gut kennen, auch wenn es einige gibt, die versuchen, sie zu verbergen.
Was hören Sie über die aktuelle Lage auf Kuba?
Die derzeitige Situation ist sehr schwierig, denn wie ich bereits erwähnt habe, ist das Land seit fast zwei Jahren mit Covid-19 konfrontiert. Der Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen Kubas, ist bekanntlich weltweit lahmgelegt. Derzeit muss das Land nicht nur die vollen wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Pandemie tragen, sondern auch die Folgen einer verstärkten US-Blockade.
Man kann nur auf die Moral und den heldenhaften Widerstand des kubanischen Volkes zählen, aber unter sehr verschlechterten Bedingungen, sowohl materiell als auch psychologisch, da wir alle unter der Müdigkeit leiden, die durch die Pandemie verursacht wird. Die Lage hat sich jedoch normalisiert, die Ereignisse haben sich wirklich am 11. und 12. Juli zugetragen. Seitdem ist es nur noch in den sozialen Netzwerken lebendig. Dies hat bei denjenigen, die die Situation organisiert oder ausgenutzt haben, Frustration ausgelöst, weshalb sie eine militärische Invasion und eine humanitäre Intervention fordern, aber sie werden von Tag zu Tag isolierter.
Sie sind seit 2006 in Netzwerken der in Europa lebenden Kubaner aktiv, um Kuba in seinem Kampf für den Aufbau einer offenen, pluralistischen und inklusiven Gesellschaft im Rahmen der Verfassung zu unterstützen. Wie setzen Sie diesen Auftrag konkret um?
Wie Sie richtig sagen, sind wir Teil einer Bewegung von Vereinigungen und in Europa lebenden Kubanern, die sich seit mehr als 15 Jahren für das Wohl des kubanischen Volkes einsetzen. Wir unterhalten herzliche Beziehungen zu Institutionen, die uns gegenüber dem kubanischen Staat vertreten, vor allem zu den diplomatischen Vertretungen und Konsulaten. Wir treffen uns regelmäßig mit ihnen, teilen ihnen unsere Anliegen und Sorgen mit und fordern, wenn nötig, unsere Rechte ein – in einem ehrlichen, transparenten und konstruktiven Dialog.
Wir fühlen uns als Teil des kubanischen Volkes, als Erben seiner Geschichte, die aus verschiedenen Gründen Kuba verlassen haben, aber eine tiefe Liebe zu unserer Herkunft, zu unserer Kultur empfinden. Der Prozess der Aktualisierung der Migrationspolitik der kubanischen Regierung hat viel mit der ständigen und stillen Arbeit von vielen von uns zu tun. Sehr wichtig ist, dass alle gleichermaßen davon profitieren, sowohl diejenigen von uns, die eine Haltung der Annäherung an das Land und seine Institutionen beibehalten, als auch diejenigen, die die Konfrontation vorziehen, weil dies in vielen Fällen ein Modus vivendi für sie ist.
Wir versuchen, unser Volk zu unterstützen, denn es sind unsere Familien, unsere Freunde, kurz gesagt, unsere Landsleute, die aus imperialer Sicht nur sich selbst dafür verantwortlich machen können, dass sie in Kuba, einem sozialistischen Land, geboren wurden und der Aggression widerstanden haben. In diesen Zeiten, in denen sich die Blockade verschärft hat und die Pandemie die Welt heimsucht, versuchen wir, unseren Beitrag zur Bekämpfung von Covid-19 zu leisten, um die durch die Delta-Variante des Coronavirus verursachte Gesundheitslage zu verbessern. Unser Slogan ist einem Lied des Troubadours Silvio Rodríguez entnommen: »Nur die Liebe bringt Wunder hervor.«
José Conde Masdiaz hat auf Kuba Bauingenieurwesen und Theologie studiert und ist seit seiner Jugend der christlichen Jugendbewegung auf der Insel verbunden. Er lebt seit 1999 in Berlin und ist Präsident des Vereins der in Deutschland lebenden Kubaner »La Estrella de Cuba e. V.«
Hintergrund: Ziel: Regime-Change
Als in Kuba am 11. Juli in mehreren Orten Hunderte Menschen wegen des anhaltenden Mangels an Lebensmitteln, Medikamenten und Hygieneartikeln auf die Straße gingen und gegen die Ausfälle in der Stromversorgung protestierten, schien der Zweck der seit mehr als 60 Jahren von den USA gegen das Land verhängten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade erfüllt. Präsident Kennedys Staatssekretär Lester Mallory hatte als deren Ziel am 6. April 1960 in einem Memorandum der US-Regierung vorgegeben, in Kuba »Enttäuschung und Unzufriedenheit über wirtschaftliche Mängel« zu erzeugen. Laut dem Memorandum sehen die USA in der Blockade eine Chance, »die Wirtschaft zu schwächen und Kuba Geld und Versorgung zu rauben, um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung herbeizuführen«.
US-Präsident Barack Obama erklärte am 17. Dezember 2014, dass sein Land am Ziel eines Regime-Change festhalte, die US-Politik der vergangenen 50 Jahre gegenüber Kuba aber gescheitert sei. Er ließ einige Sanktionen aufheben und setzte auf eine Politik eines »Wandels durch Annäherung«. Doch Donald Trump vollzog erneut eine Kehrtwende. Mit 243 neuen Sanktionen verschärfte er die US-Blockade in einem bis dahin nicht erlebten Ausmaß. Reedereien wurden daran gehindert, Treibstoff nach Kuba zu liefern, Firmen und Banken in aller Welt unter Druck gesetzt, um jedweden Handel und alle Finanzgeschäfte mit der Insel zu unterbinden.
Die von den Vereinten Nationen als Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilten Blockademaßnahmen zeigten Wirkung. Benzin, Diesel und Schweröl wurden knapp, Stromversorgung und Warentransport mussten eingeschränkt werden. Selbst im eigenen Land produzierte Lebensmittel gelangten nicht mehr in die Geschäfte. Der zunächst von Trump und dann durch die Coronapandemie verursachte Einbruch des Tourismus führte zur weiteren Verknappung der Devisen, die für den Import von Nahrung, Medikamenten, vor allem aber Rohstoffen zur Produktion der von kubanischen Wissenschaftlern entwickelten Covid-19-Impfstoffe benötigt werden. Trotz der weltweit durch die Pandemie verursachten Krise brach Trumps Nachfolger Joseph Biden sein Wahlversprechen. Statt Obamas Kuba-Politik wieder aufzunehmen, verhängte er weitere Sanktionen.
Mittlerweile ist erwiesen, dass die zunächst friedlichen Proteste vom 11. Juli durch millionenfach aus dem Ausland in Netzwerken verbreitete Fake News – im Sinne des von Mallory 1960 verfassten Memorandums – angeheizt wurden. Mit gefälschten Bildern und Nachrichten wird versucht, den Eindruck eines »Volksaufstandes« zu vermitteln. Nach dem Motto »Haltet den Dieb« werden Opfer der US-Blockade zu Tätern gestempelt und wird Kuba die Schuld an den wirtschaftlichen Problemen des Landes zugewiesen. (vh)