Die Eindämmung der Coronapandemie in der sozialistischen Inselrepublik und der Kampf gegen die US-Blockade. Ein Gespräch mit Hans-Peter Weymar. Von Volker Hermsdorf
Sie sind seit dem 7. November wieder in Kuba, wo Sie bis Juli lebten. Wie war die Prozedur bei der Einreise und danach?
Da der internationale Flughafen José Martí in Havanna den Betrieb für normale Linienflüge erst am 15. November wieder aufgenommen hat, bin ich über Varadero eingereist. Am Flughafen wurde der erste PCR-Test durchgeführt. Nach fünf Tagen in häuslicher Quarantäne und dem negativen Resultat des ersten Tests folgte in Havanna ein zweiter. Als mir zwei Tage später auch dafür das Ergebnis »negativ« mitgeteilt wurde, konnte ich die Quarantäne beenden.
Kubas nördlicher Nachbar USA verzeichnet mit über 11,4 Millionen nachweislich mit dem Coronavirus Infizierten mehr Fälle als Kuba Einwohner hat. Wie sicher fühlen Sie sich auf der Insel?
Im Moment geschützter als in Deutschland. Die Zahl der Neuinfektionen lag in den letzten Tagen in Havanna – immerhin eine Stadt mit 2,1 Millionen Einwohnern – zwischen null und elf. Sonntag wurden zwei neue Fälle registriert, am Montag kein einziger und am Dienstag elf. Im ganzen Land beträgt die Zahl der bisher bestätigten Coronafälle 7.704, von denen 131 an oder mit dem Virus gestorben sind. Damit nimmt Kuba, was die Eindämmung der Pandemie betrifft, weltweit einen Spitzenplatz ein. In meiner Heimatstadt Hamburg haben sich von knapp 1,9 Millionen Einwohnern bis Anfang der Woche 21.076 infiziert, allein am Dienstag kamen 424 Fälle hinzu. Da fühle ich mich hier natürlich sehr sicher.
Wie war dieser Erfolg möglich?
Wie das kubanische Gesundheitssystem es geschafft hat, die zwischenzeitlich auch hier erhöhten Infektionszahlen wieder herunterzudrücken und das Pandemiegeschehen in den Griff zu bekommen, scheint angesichts der vergeblichen Bemühungen anderer Länder fast unglaublich. Meiner Ansicht nach ist dies ein klarer Beweis dafür, dass mit einem nicht am Gewinn orientierten System – auch bei äußerst knappen Mitteln – viel erreicht werden kann. Die niedrigen Zahlen in Kuba sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis eines staatlichen Gesundheitssystems, in dem Menschen wichtiger sind als der Gewinn. Sie sind auch das Resultat einer durchdachten und gut organisierten Vorsorge, die ich im ersten Halbjahr, bis zu unserer Abreise, selbst erlebt habe. Fast jeden Tag kam ein Arzt oder eine Krankenschwester bei uns und den Nachbarn vorbei und erkundigte sich nach dem Gesundheitszustand.
Wie reagiert die Bevölkerung auf coronabedingte Einschränkungen?
Ich habe den Eindruck, dass sie durchweg akzeptiert werden, weil die Leute ja selbst erleben, dass die Maßnahmen Erfolg haben und sie in immer mehr Bereichen fast wieder ihr normales Leben führen können. Am Wochenende habe ich auf der Uferpromenade Malecón kaum meinen Augen getraut, als Hunderte Jugendliche dort Musik machten und hörten, kleine Reggaeton-Tanzeinlagen vorführten und miteinander flirteten wie früher. Das war fast wie vor der Pandemie, außer natürlich, dass alle sehr diszipliniert und mit nur sehr wenigen Ausnahmen ihr »Nasobuco« trugen, wie der Mund-Nasen-Schutz hier in Kuba heißt.
Der öffentliche Nahverkehr in Havanna war stark eingeschränkt. Wie bewegen Sie sich?
Die Situation ist nahezu normal. Die Busse fahren regelmäßig. Auch die »Gazellas« genannten gelben Kleinbusse und Sammeltaxis und die als »Máquinas« bezeichneten US-Oldtimer verkehren wieder regulär und die teureren Taxis für Einzelfahrgäste sowieso.
Wie hat sich die Versorgungslage seit Ihrer Abreise vor vier Monaten verändert?
Auf den ersten Blick fällt positiv auf, dass viele der größeren Läden und Supermärkte wieder geöffnet sind. Die meisten davon sind allerdings Devisenläden, in denen nur mit harter Währung, also mit Euro, Schweizer Franken, Britischem Pfund oder US-Dollar bezahlt werden kann, die zuvor auf eine »Tarjeta« genannte Bezahlkarte transferiert werden müssen. Das ist ein Versuch des Staates, dem von Washington provozierten und ständig forcierten Devisenmangel entgegenzuwirken. Auf mich wirkt das einerseits wie ein verständlicher und vielleicht notwendiger Hilfsanker, der andererseits aber auch zu mehr Ungleichheit und Ungerechtigkeiten führt. Nach Schätzungen kann sich die Mehrheit der Bevölkerung eine solche Devisenkarte gar nicht leisten.
Und was machen diejenigen, die keine Tarjeta haben?
Vor den normalen Geschäften, wie übrigens auch vor den Devisenläden, habe ich überall lange Warteschlangen gesehen. Ich bewundere die Menschen, die das geradezu mit einer Engelsgeduld hinnehmen. Natürlich wird auch oft darüber geflucht. Eine Bekannte in Centro Habana, die ich nach vier Monaten wieder getroffen habe, wirkte fix und fertig. Das ständige Anstehen gehe ihr auf die Nerven und zehre an ihren Kräften, sagte sie mir. Ihr Nachbar, den ich schon früher als Frohnatur kennengelernt hatte, zuckte dagegen nur mit den Achseln. »Was soll’s, wir sind es doch gewohnt, immer mal wieder am Boden zu sein. Aber unterkriegen lassen wir uns davon nicht«, meinte er. Zumindest die Versorgung mit Obst und Gemüse hat sich offenbar auf niedrigem Niveau wieder stabilisiert. Nach meinem Eindruck ist vielen Menschen hier in den vergangenen Monaten noch klarer geworden, was die Ursachen für die Versorgungsmängel sind. Jedenfalls höre ich weniger Flüche über »diese verdammte Bürokratie hier in Kuba« und deutlich mehr Empörung über die US-Blockade.
Wegen neuer Blockadebestimmungen schließt Western Union am Montag seine Büros in Kuba, über die in den USA lebende Kubaner ihre Familien finanziell unterstützt hatten. Was sagen die Betroffenen?
Ein Jugendlicher am Malecón reagierte richtig sauer, als ich ihn danach fragte. »Wie krank müssen die in Washington sein, dass sie uns mit solchen Schikanen kaputtmachen wollen?« Offenbar glauben die USA, Kuba in den Staatsbankrott treiben zu können, wenn auch noch diese Möglichkeit des Geldtransfers unterbunden wird. Was mich allerdings zusätzlich empört, ist das Schweigen der EU und der Bundesregierung, die nichts unternehmen, um dem Treiben Washingtons etwas entgegenzusetzen.
Welche Erwartungen haben Kubaner an den designierten US-Präsidenten Joseph Biden?
Einige haben die Hoffnung, dass sich unter Biden zumindest etwas ändert. Trump war ja in bezug auf Kuba geradezu besessen. Die Republikaner scheinen große Thinktanks ausschließlich damit zu beschäftigen, ständig neue Schikanen zu ersinnen, um Kubas Bevölkerung zu drangsalieren. Eine Bekannte in Marianao äußerte sich mir gegenüber allerdings skeptisch und meinte, die USA hätten in der ganzen Welt soviel Unheil angerichtet, dass Kuba wohl nicht ganz oben auf der Liste stehe, um Schäden und Unrecht zu beheben, wenn sie das überhaupt wollen. Und ein Freund in Havanna Vieja erwartet so gut wie gar nichts. »Der alte Herr Biden hängt auch nur an irgendwelchen Marionettenfäden, und diejenigen, die diese in den Händen halten, sind vielleicht nicht ganz so extrem wie Trump, aber kaum anders. Der Kapitalismus will Vorherrschaft und Kuba stört da nur«, sagte er mir.
Ist die Kampagne »Unblock Cuba« nach der Abwahl Trumps weniger wichtig?
Ganz im Gegenteil. Auch unter einer neuen US-Regierung muss den Menschen weltweit klargemacht werden, wie inhuman und illegal die Blockade gegen Kuba ist. Wie wir zu Zeiten Barack Obamas erlebt haben, waren die Auswirkungen der Sanktionen für die kubanische Bevölkerung unter einem etwas gemäßigteren Präsidenten ja auch immer noch brutal. Die Kampagne »Unblock Cuba« sollte sogar gestärkt werden, weil die völkerrechtswidrige Blockade nicht nur abgemildert, sondern komplett beseitigt werden muss.
Sie haben mit anderen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur eine Petition initiiert, in der Sie die Bundesregierung auffordern, sich aktiv für die Aufhebung der US-Blockade einzusetzen. Wie hat sich dieser Aufruf entwickelt?
Unsere Petition wird bisher schon von über 58.000 Unterzeichnern unterstützt. Damit haben wir das von uns gesetzte erste Etappenziel erreicht. Was wir allerdings noch nicht erhalten haben, ist eine Antwort der Bundesregierung zu unseren Forderungen, obwohl dies in der Bundespressekonferenz angekündigt worden ist. Wir werden aber sowieso für unser Anliegen Druck machen müssen.
Welche Aktivitäten planen Sie dazu in der nächsten Zeit?
Wir bereiten für den 30. November eine deutsch-kubanische Videokonferenz zu Kooperationen mit Kuba in den Bereichen Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft vor. Dabei geht es – so unser Arbeitstitel – um »Potential und Herausforderungen der deutsch-kubanischen Zusammenarbeit in Zeiten von Blockade und Coronakrise«. Damit wollen wir informieren und zugleich Möglichkeiten aufzeigen, um die deutsche und europäische Zusammenarbeit mit Kuba zu fördern und besser zu schützen.
Das Interview erschien in der Tageszeitung junge Welt vom 21. November 2021