Nach Ausschreitungen im Sommer: »Friedliche« Proteste von Systemgegnern angekündigt. Unterstützung aus USA und EU. Von Volker Hermsdorf
In Kuba wollen rechte Systemgegner trotz fehlender Genehmigung für neue »Protestmärsche« am 15. und 20. November mobilisieren. Sie berufen sich auf die Verfassung, die das Demonstrations- und Versammlungsrecht aller Bürger »zu rechtmäßigen und friedlichen Zwecken« garantiert. Die Aufrufe werden unter anderem von der US-Regierung und exilkubanischen Contraorganisationen in Miami unterstützt. Mit Hinweis auf »die erkennbare Absicht, einen Wechsel des politischen Systems in Kuba zu fördern«, haben mehrere Provinzregierungen und Stadtverwaltungen die angekündigten Aktionen untersagt. Auch die Behörden beziehen sich dabei auf die im Februar 2019 in einem Referendum von 6,8 Millionen Bürgern mit 86,8 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommene Verfassung, in der das sozialistische System als »unwiderruflich« bezeichnet wird.
Kubanische Medien verwiesen in den vergangenen Tagen auf die aus dem Ausland geförderten Proteste vom 11. Juli, die friedlich begannen, dann aber in gewalttätige Ausschreitungen ausarteten. Angefeuert von exilkubanischen Contras und rechten US-Politikern hatten militante Systemgegner Bürger und Polizeistationen angegriffen, auf dem Höhepunkt der Covid-19-Krise Krankenhäuser und Kindergärten attackiert und in mehreren Städten Lebensmittelgeschäfte zerstört. Meist aus den USA und Spanien erfolgte Cyberangriffe auf die Webseiten kubanischer Medien und Institutionen flankierten die Aktionen, und externe Internettrolle versuchten den Eindruck eines »spontanen Aufstands« zu erwecken. Nach den Vorfällen meldete die russische Agentur Sputnik, eine Analyse hätte ergeben, »dass die Vorgänge in Kuba Teil einer verdeckten Operation zur Destabilisierung des Landes waren«. Das Onlineportal Cubadebate kommentierte: »Aktionen wie diese sind Teil der politisch motivierten Medienoperation, die vom Ausland aus durchgeführt wird, um eine soziale Explosion auf der Insel zu fördern.«
Dagegen behauptete der Sprecher des US-Außenministeriums, Edward Price, Anfang der Woche auf einer Pressekonferenz in Washington, dass »die Proteste gegen die kubanische Regierung im Juli nichts mit den Vereinigten Staaten zu tun hatten«. Die US-Regierung verurteile deshalb die Entscheidung, die angekündigten neuen Aktionen für illegal zu erklären, und fordere die Regierung in Havanna auf, »die Grundfreiheiten des kubanischen Volkes zu respektieren«, zitierte die in Miami erscheinenden Tageszeitung El Nuevo Herald Price am Dienstag. Auch EU-Abgeordnete der spanischen Rechtsparteien Partido Popular und Ciudadanos sowie der faschistischen Partei Vox unterstützen die Systemgegner auf der Insel und forderten das EU-Parlament am Dienstag auf, den Dialog mit »Kuba auszusetzen«.
Der Zeitpunkt der geplanten »Proteste« wurde offenbar mit Überlegung gewählt. Am 15. November will Kuba, das den Höhepunkt der Pandemie dank einer erfolgreichen Impfkampagne mittlerweile überwunden hat, seine Grenzen für den internationalen Tourismus landesweit öffnen. Damit soll eine Phase der wirtschaftlichen Erholung eingeleitet werden, die zu einer verbesserten Versorgung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten, Treibstoffen und Strom führen könnte. Eine derartige Entwicklung würde die auch von US-Präsident Joseph Biden verschärfte US-Blockade konterkarieren, deren erklärtes Ziel seit 60 Jahren darin besteht, »mittels Enttäuschung und Unzufriedenheit aufgrund von Mängeln und Elend das Wirtschaftsleben zu schwächen und Kuba Geld und Versorgung zu rauben, um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung hervorzurufen«.
Die kubanische Verfassungsrechtlerin Martha Prieto erklärte zur Rechtslage, das in Artikel 56 garantierte Recht, »zu rechtmäßigen und friedlichen Zwecken« zu demonstrieren, lasse sich nicht auf Aktionen anwenden, die sich gegen die im Artikel 4 der Verfassung verankerte sozialistische Gesellschaftsordnung richten. Genau darauf zielten die US-Blockade, das Helms-Burton-Gesetz der USA und die von Washington unterstützen verfassungsfeindlichen Systemgegner aber ab, stellte die Juristin am Dienstag gegenüber Cubadebate fest.
Quelle: junge Welt vom 15.10.2021