Kuba: Über Auswirkungen der US-Blockade und wie das Land die Coronapandemie in den Griff bekommen hat. Gespräch mit der Krankenschwester Elfi. Von Claudia Gerathewohl
Sie waren mit einer kubanischen Ärztebrigade in Haiti. Wie unterschied sich die Arbeit als Krankenschwester dort von der Arbeit in Kuba?
Ich wohne in Yateras in der Provinz Guantánamo in Kuba und bin Krankenschwester in der Poliklinik in Felicidad. Hier in Kuba ist es meine Arbeit, erste Hilfe zu leisten. Wenn jemand in die Notaufnahme kommt, beispielsweise mit einem Asthmaanfall, einer Unfallverletzung, Kopfschmerzen oder Bluthochdruck, dann wird er von uns versorgt. Manchmal haben wir es auch mit schwereren Fällen zu tun.
In Haiti war das anders. Da habe ich mit einem chirurgischen Team zusammengearbeitet. Beispielsweise hatten wir gynäkologische und chirurgische Patienten. Da ging es unter anderem um Tumore im Unterleib oder Kaiserschnitte. Ansonsten habe ich den Ärzten im OP-Saal die medizinischen Instrumente gereicht, ich habe auch vorbereitet und hinterher saubergemacht, den ganzen Saal steril gemacht. Die Patienten wurden auch nach der Behandlung noch von uns betreut, wir haben die Wunden versorgt und uns um alles gekümmert, was sie brauchten, bis sie dann entlassen wurden.
Wir haben natürlich auch mit den Haitianern gesprochen. Das war wegen der Sprachbarriere manchmal schwierig, aber wir haben es doch hinbekommen, und dann war es auch sehr lustig.
Die US-Regierung behauptet, Havanna treibe »Menschenhandel«, weil die im Ausland tätigen Ärzte des Landes nicht den kompletten Lohn ausgezahlt bekommen, den Kuba für die Einsätze erhält. Was können Sie als »Opfer« dieses »Menschenhandels« dazu sagen?
Das wird hier nicht so gesehen. Wer ins Ausland geht, bekommt das gleiche Geld wie das Personal in dem Land, in dem man arbeitet. In Afrika haben die Menschen 800 Dollar bekommen, so wie die Ärzte dort, oder eben dasselbe Geld, das die Krankenschwestern dort auch verdienen. In Bolivien, Ecuador und Brasilien war das auch so.
Mit dem medizinischen Personal wurde darüber in Kuba ein Vertrag abgeschlossen mit dem Land, in das sie gehen. Im Fall von Haiti war es ein bisschen anders. Ich habe auch einen Vertrag gemacht und habe 300 Dollar ausgezahlt bekommen, aber mir wurden dann nochmal 360 Dollar auf mein Bankkonto überwiesen. Das Geld wurde ausgezahlt, als ich meine Mission beendet hatte. Wenn es um Venezuela geht, ist es auch anders. Da besteht ein Vertrag zwischen Venezuela und Kuba. Die Leute werden in Venezuela bezahlt und bekommen auch hier Geld auf die Bank. Wenn sie dort einkaufen gehen, bekommen sie einen 30prozentigen Rabatt. Sie kaufen mit einer Karte ein.
Die Lungenerkrankung Covid-19 hat sich auch in Kuba verbreitet. Gibt es in Ihrem Umfeld viele Infektionen?
In unserem Umfeld gibt es keine Coronainfektionen. In der Provinz Guantánamo gibt es seit fünf Monaten keine Covid-Erkrankungen, nur am Anfang gab es in drei Kreisen Fälle. Alleinstehenden älteren Menschen wurde damals Essen gekocht und gebracht, das haben beispielsweise Lehrer für sie übernommen. Auch Einkäufe wurden von jungen Leuten für sie erledigt, damit sie sich nicht infizieren konnten, wenn sie in einem Geschäft anstehen mussten. So war es auch bei Menschen mit Behinderung oder alleinstehenden Müttern mit kleinen Kindern und Schwangeren.
Wie hat Kuba die Pandemie in den Griff bekommen?
Die Gaststätten wurden geschlossen, es gab keine Feiern, keine kulturellen Veranstaltungen. Wenn jemand krank war, wurden die Kontaktpersonen in Quarantäne geschickt. Es wurden die Straßen mit Desinfektionsmittel bespritzt, die Häuser und Arbeitsplätze desinfiziert, in den Autobussen auch die Sitze und Handgriffe. Wir mussten Abstand halten, beispielsweise beim Arzt Stühle freilassen. Nasen- und Mundschutz müssen immer noch alle tragen.
Der öffentliche Nahverkehr wurde eingestellt, für uns gab es etwa keinen Transport nach Guantánamo. Wer sich für eine Sprechstunde angemeldet hatte, wurde von den Gesundheitsbehörden mit Autobussen hin- und dann auch wieder zurückgefahren. Aber nur der Patient, keine Begleitung. So wurde beispielsweise auch sichergestellt, dass Bedürftige ihre Dialyse erhielten.
Die Schulen wurden geschlossen. Menschen, die über 60 Jahre alt sind, aber noch arbeiten, durften bei vollem Gehalt zu Hause bleiben. Auch Mütter mit Schulkindern wurden ohne Lohneinbußen für drei Monate von der Arbeit freigestellt.
Wenn in einem Stadtviertel einige Menschen erkrankten, sagen wir drei oder vier, wurde es abgesperrt. Es durften dann nur Ärzte hinein und die, die Straßen und Häuser desinfizierten, sowie Helfer, die Leute versorgten, zum Beispiel mit Essen. In kleineren Orten wurden auch die Straßen abgesperrt. Bei den Betroffenen wurde jeden Tag die Temperatur gemessen und sie wurden gefragt, wie sie sich fühlen. Das wurde alles dokumentiert. Sie haben auch bevorzugt benötigtes Essen bekommen.
Die Menschen, die Kontakt mit Infizierten hatten, wurden ermittelt und isoliert. So auch in den Gesundheitsbehörden: 14 Tage Arbeit, 14 Tage Quarantäne und erst danach nach Hause. Bei uns hier war es nicht so, weil wir keine Infizierten hatten. Bis auf einige Großstädte ist die Situation jetzt nicht mehr so streng. Im öffentlichen Nahverkehr wird auf Abstand geachtet, der private war ganz stillgelegt.
Mit welchen Covid-19-Einschränkungen mussten die kubanischen Kinder leben?
Die Kinder sind nicht in die Schulen gegangen, die waren geschlossen, auch die Kindergärten und die Krippen. Ausgenommen waren nur einige in den Großstädten wie Havanna. In den anderen Orten sind die Kinder zu Hause geblieben, durften auch nicht auf die Spielplätze. Die Eltern wurden bezahlt, um auf sie aufzupassen, Unterricht gab es über das Fernsehen. Der Staat hat den arbeitenden Müttern drei Monate lang – April, Mai, Juni – volles Gehalt bezahlt, für Juli und August dann 60 Prozent, damit sie mit ihren Kindern den Unterricht daheim wahrnehmen können, damit sie aufpassen, dass sie nicht aus dem Haus gehen.
Im Fernsehen gab es zudem mehr Kinderprogramme. In Städten mit großen Wohnblöcken wurde auch Programm auf der Straße angeboten, natürlich mit Mundschutz. Da wurde gesungen, oder es gab Veranstaltungen mit Clowns, und die Kinder haben vom Balkon aus zugesehen.
Auf dem Dorf, wie bei uns, haben die Kinder zwar auf der Straße gespielt, haben sich aber nicht gegenseitig besucht. Im September hat die Schule wieder angefangen, außer in Havanna. Die Kinder sind mit Mundschutz in die Schule gegangen. Beim Betreten der Gebäude mussten sie sich die Hände desinfizieren, es wurde Temperatur gemessen und in den großen Schulen wurden die Schüler nach Symptomen wie Halsschmerzen gefragt – wenn sie was hatten, durften sie nicht rein. Die Abschlussprüfungen der älteren Schüler wurden nur schriftlich gemacht, so wurden die Leistungen des Jahres bewertet.
Wie hatte sich die Lebenssituation für Sie und Ihre Nachbarn bis zum Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump verändert?
Vor Trump wurde einiges besser. Obama hatte ja einiges mit Kuba vereinbart. Beispielsweise wurden die Fünf freigelassen. (Die »Cuban Five« hatten in den 1990er Jahren antikommunistische Terrororganisationen in Miami ausgespäht, um Anschläge in Kuba zu verhindern. 1998 wurden sie verhaftet und in Schauprozessen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, jW). Es gab sehr viele Sachen zu kaufen: Nahrungsmittel, Medizin, der Grundbedarf für die Menschen war gesichert. Es gab genügend Rohstoffe für die Arzneimittelfabrik, Geräte und Materialien für die Krankenhäuser.
Wie sieht es bei euch mit der Versorgung mit Lebensmitteln, Energie und Produkten des täglichen Bedarfs aus?
Seit Trump an der Macht ist, wurde sehr viel geschlossen, nicht zuletzt die US-Botschaft. Es gibt jetzt keine Rohstoffe für die Medizinproduktion. Es fehlen Medikamente zur Blutdrucksenkung, für Herzkranke, für Diabetiker. Es gibt im ganzen Land gegenwärtig keine Brillen, also keine Gläser, insbesondere keine starken Gläser. Es fehlen einige Materialien zum Operieren, wie Handschuhe, die kommen oft aus dem Ausland. Zum Glück gibt es Spenden, aber es fehlen Lieferungen. Mit den Lebensmitteln sieht es auch etwas schlecht aus. Das hat auch mit Covid zu tun, die Schiffe können nicht so einfach anlegen. Wir sind ja von Wasser umgeben. Es fehlt an Shampoo, Deodorant und Hautcreme. Seife, Zahncreme und Waschpulver gibt es zu kaufen.
Wie wirkt sich die Blockade sonst noch auf die medizinische Versorgung aus?
Es fehlen Spritzen, Binden, Verbandsmaterial, Pflaster, Handschuhe, Arzneimittel, besonders in Krankenhäusern für spezielle Krankheiten, für die Medizin im Ausland gekauft werden muss. Im Krankenhaus Guantánamo wird derzeit nicht operiert, nur in ganz schweren Fällen. Es gibt auch kein Gift zur Bekämpfung von Ungeziefer, wie Kakerlaken und Ratten. Das kommt auch aus dem Ausland.
Aber ich möchte mit Blick auf Trump noch etwas hinzufügen. Die »Remesas« sollen jetzt unterbunden werden, also die Geldüberweisungen von kubanischen Arbeiterinnen und Arbeitern aus den USA in ihre Heimat. Western Union wird im November geschlossen. Über die wurde das Geld immer geschickt. Die Reisen, die jetzt wieder ermöglicht werden, sind extrem teuer. Es gibt sehr viele Kubaner, die ihre Familien in den USA haben.
Claudia Gerathewohl ist bei Cuba Sí aktiv. Das Interview wurde von Anfang September bis Anfang November über Sprachnachrichten geführt.
Das Interview erschien in der Tageszeitung junge Welt vom Montag, 15. November 2020, auf der Schwerpunktseite.