US-Blockade verschärft Alltag auf Kuba drastisch. Stromsperren und Transportschwierigkeiten.
Ein Gespräch mit Déborah Azcuy Carrillo
Von Annuschka Eckhardt
junge Welt-Artikel vom 22.6.2024 / Seite 3 / Schwerpunkt Unblock Cuba!
Ich erreiche Sie direkt auf Kuba. Wie nehmen Sie die aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation auf der Insel wahr?
Ich bin in Havanna und die aktuelle Situation auf Kuba ist komplex, sehr komplex. Das hängt unmittelbar damit zusammen, dass es nach den neuen Maßnahmen – also den 243 Maßnahmen der Verschärfung der Blockade und der Nennung Kubas auf der Liste der USA von angeblichen Terrorstaaten – noch schwieriger für Kuba geworden ist, international an Finanzmittel zu kommen. Und das hat Folgen für den Alltag. Weil Kuba zur Zeit keine Möglichkeit hat, an Kredite zu gelangen, müssen wir uns anpassen.
Die Zahl der Stromsperren hat zugenommen, die allerdings – das muss man sagen – organisiert ablaufen, damit sie die Bevölkerung so wenig wie möglich belasten. Es gibt Stromsperren für vier Stunden am Tag. Zusätzlich ist auch eine Umstrukturierung durchgeführt worden, damit an den Arbeitsplätzen nur diejenigen bleiben, die wirklich sehr relevante Aufgaben erfüllen müssen, um auch dort Strom einzusparen.
Welche weiteren Folgen der 243 Maßnahmen sind im Alltag der Kubaner spürbar?
Die Ernährungssituation ist schwierig. Dadurch, dass der Staat, wie gesagt, keinen Zugang zu Finanzierungen hat, werden alle Einnahmen dazu genutzt, um Nahrungsmittel für die Bevölkerung einzukaufen und gerecht zu verteilen. Selbstverständlich hängt das von den Preisen des internationalen Markts ab. Das heißt, Kuba muss zwei Milliarden US-Dollar für Nahrungsmittel ausgeben. Unser Tourismus, der ja bis 2019 jährlich rund viereinhalb Millionen Besucherinnen und Besucher nach Kuba brachte, ist auch durch die Coronapandemie um mehr als die Hälfte eingebrochen.
Durch den Klimawandel sind die Temperaturen sehr hoch und es regnet zwischendurch unentwegt. Das macht uns Kubanern Sorgen. Die Blockade hat große Auswirkungen auf unseren Transport. Entweder wir müssen lange Strecken laufen oder ganz früh aufstehen, damit die super vollen Busse einen zur Arbeit fahren.
Und wie geht die Bevölkerung mit den ganzen Entbehrungen um?
Das kubanische Volk ist sehr widerstandsfähig. Daraus haben wir gelernt, was es bedeutet, Kuba zu erhalten, den sozialistischen, revolutionären Prozess zu bewahren. Natürlich gibt es Unzufriedenheiten, aber in der Mehrheit der Bevölkerung gibt es auch trotz dieser ganz harten, schwierigen Situation ein Bewusstsein für unsere Errungenschaften, die Errungenschaften der kubanischen Revolution.
Am Donnerstag abend hat die Auftaktveranstaltung der diesjährigen Kampagne von »Unblock Cuba« hier in Berlin in der junge Welt-Maigalerie stattgefunden. Was bedeutet diese Form der Solidarität für Sie?
Die Kubanische Revolution ist seit dem 19. Jahrhundert immer von Solidarität geprägt. Kuba war und ist heute ein Land des Widerstandes und ein Beispiel dafür, dass es trotz der schwierigen Momente Licht am Ende des Tunnels gibt. Durch Organisationen und Initiativen, wie beispielsweise »Unblock Cuba«, zeigen so viele Menschen auf der Welt ihre Liebe zu Kuba und unterstützen uns. Es wird über die Realität Kubas berichtet und Kuba weiterhin auf seinem Weg zum Aufbau einer gerechteren Gesellschaft begleitet. Was bedeutet die Solidarität für uns? Sie hat einen sehr, sehr hohen Stellenwert. Wir kennen internationale Solidarität auch durch unsere Unterstützung für den angolanischen Befreiungskampf.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich?
Wir danken Euch für Eure stetige Unterstützung, für die Durchführung von Aufklärungskampagnen und Demonstrationen, um die kubanische Souveränität hochzuhalten. José Martí, unser Nationalheld, hat mal gesagt, dass die »Schlacht der Ideen« sehr wichtig ist. Das gibt mir im persönlichen Sinne, aber auch uns Kubanerinnen und Kubanern viel Kraft. Denn wissen Sie, Kuba war immer solidarisch mit allen Völkern der Welt, und was die Solidaritätsbewegung leistet, gibt uns Kraft.
Das und die Überzeugung, dass, auch wenn dieser Weg sehr kompliziert und schwer ist, wir im Alltag mit der Blockade konfrontiert sind, die Menschen in anderen Ländern nicht die Revolution aufgeben. Eure Solidarität gibt uns Mut weiterzumachen, weiterzukämpfen und uns von innen heraus zu verbessern. Trotz des Drucks des US-Imperialismus und der US-Regierung, die versucht, uns von innen zu zerstören.
Bald wird, wie jedes Jahr, wieder in der UN-Vollversammlung für die Aufhebung der US-Blockade gegen Kuba abgestimmt. Was erwarten Sie von der kommenden Abstimmung?
Die Resolution Kubas zur Notwendigkeit der Aufhebung der mörderischen Blockade wird, wie auch die vergangenen 32 Jahre, wieder ein Sieg für Kuba sein. Ich meine, diese Dinosaurierpolitik aus Washington isoliert sie politisch. Im vergangenen Jahr stimmten nur die USA und Israel dafür, dass Kuba weiter blockiert wird. Alle internationalen Gremien, Organisationen innerhalb der UNO, sei es G7 und China, seien es die blockfreien Länder, seien es die BRICS-Staaten, sei es die CELAC, also die Organisation der lateinamerikanischen und karibischen Länder, sei es die Organisation der Karibik und auch die Afrikanische Union oder die Arabische Union: Alle in der Welt stellen sich resolut gegen diese Politik der USA, Kuba in die Knie zu zwingen. Kuba leidet unter den längsten Strafen der Geschichte, nämlich mehr als 65 Jahre Blockade.
Heute ist es wichtiger denn je, dass Kuba aus der Liste der angeblichen Terrorstaaten gestrichen wird. Kuba entwickelt sich mit den beschränkten Mitteln, über die es verfügt, unter dem Gesichtspunkt des kreativen Widerstandes. Die Solidarität ist und bleibt die Zärtlichkeit der Völker.
Déborah Azcuy Carrillo arbeitet beim Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) in Kuba