Kubas Parlament empfiehlt neues Familiengesetz zur Abstimmung, Präsident fordert Respekt. Mehr Rechte für Frauen, Schutz vor Diskriminierung. Volker Hermsdorf
Das kubanische Parlament hat den Weg für ein progressives neues Familiengesetz geebnet. Die Abgeordneten riefen die Bevölkerung vor einer Woche zur Abstimmung über die Novelle auf, die das bisherige Gesetz aus dem Jahr 1975 ablösen soll. Nach monatelangen, teils kontroversen Diskussionen entscheiden die Bürgerinnen und Bürger am 25. September in einem Referendum über die Annahme des neuen Regelwerks. In dem »Código de las familias« werden verschiedene Lebensentwürfe anerkannt und juristisch gleichgestellt. Das Gesetz soll unter anderem den Schutz vor Diskriminierung und Gewalt stärken sowie die Rechte von Frauen, Minderjährigen, älteren Familienmitgliedern und Menschen mit Behinderung erweitern. Auch Bestimmungen zum Sorgerecht, Unterhalt, zur Adoption und zur künstlichen Befruchtung wurden erstmals aufgenommen oder neu geregelt.
Bis zur Fassung des jetzt vom Parlament gebilligten 25. Entwurfs des neuen Gesetzes war es ein langer Weg. Wie die KP-Zeitung Granma am vergangenen Freitag berichtete, haben Millionen Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Monaten auf landesweit über 79.000 Versammlungen in Betrieben, Verwaltungen, Bildungseinrichtungen und an Nachbarschaftstreffen über das Gesetzesvorhaben diskutiert. Dabei seien insgesamt 434.860 Änderungsvorschläge gemacht worden, die von einer aus Abgeordneten, Wissenschaftlern und Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen bestehenden Kommission bearbeitet wurden, erklärte Justizminister Oscar Manuel Silveira Martínez. Von dem im September vergangenen Jahres vorgelegten ersten Entwurf seien insgesamt 49 Prozent der Texte verändert worden, informierte der Minister. Eine der wichtigsten Neuerungen, die Einführung der »Ehe für alle«, ist in der aktuellen Vorlage weiterhin enthalten, trotz Protesten und einer Kampagne evangelikaler Gruppen. Auch Vorbehalte gegen die Neufassung des Sorgerechts, eines Adoptionsrechts für homosexuelle Paare sowie einer Stärkung der Rechte von Kindern in der Familie, als deren »Oberhaupt« nicht mehr automatisch der Vater gelten soll, fanden keine Mehrheit.
Präsident Miguel Díaz-Canel bezeichnete die Familie in der Parlamentsdebatte als »Zusammenschluss von Menschen, die durch ein affektives, psychologisches und emotionales Band verbunden sind, das sie zu einer Lebensgemeinschaft macht, in der sie sich gegenseitig unterstützen«. Es sei richtig, dass »den Menschen durch das neue Gesetz die Autonomie und die Entscheidungsbefugnis zugestanden wird, zu heiraten oder nicht, ihren gleich- oder verschiedengeschlechtlichen Partner zu wählen; die wirtschaftliche Regelung der Ehe zu bestimmen; eine faktische Verbindung einzugehen oder nicht, die Ausübung der elterlichen Verantwortung innerhalb der Grenzen des Gesetzes zugunsten Dritter zu delegieren oder nicht; einvernehmlich die Reihenfolge der Nachnamen von Töchtern und Söhnen, deren Anzahl und den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem sie sie bekommen wollen; Instrumente zum Selbstschutz von Menschen in Situationen einer fortschreitenden Behinderung bereitzustellen«, erklärte Díaz-Canel. Er bat die Bevölkerung um Zustimmung beim Referendum. In Anspielung auf die frühere Verfolgung Homosexueller in Kuba sagte er, es ginge auch darum, »die Schulden der Vergangenheit zu begleichen«. Die in Teilen der Bevölkerung trotzdem noch immer umstrittenen Neuerungen verteidigte der Staatschef mit dem Hinweis: »Es geht nicht um Toleranz, sondern um Respekt.«
Auch zahlreiche Prominente werben für ein »Ja« bei der Volksbefragung. So bezeichnete die Abgeordnete und Direktorin des 1988 gegründeten »Nationalen Zentrums für Sexualaufklärung« (Cenesex), Mariela Castro, die den Entwurf maßgeblich geprägt hatte, das Referendum als »aufregenden Moment für unser Volk, das sich den fortschrittlichsten Ideen der Revolution verpflichtet fühlt«. Bei der Abstimmung gehe es um »eine Norm, die zur Stärkung unseres politischen Systems und der Errungenschaften, die wir im Bereich der Menschenrechte erzielen, beiträgt«, sagte sie. Der Ehrenvorsitzende der Schriftstellervereinigung UNEAC, Miguel Barnet, erklärte, dass er ein Verfechter des neuen Gesetzes sei, weil er darin »ein Bollwerk für die neuen Generationen« sehe, das »uns an die Spitze des modernen Denkens bringen wird«.