Ärztenotstand: Kalabrien heuert knapp 500 kubanische Mediziner an
Von Luca De Crescenzo
In Kalabrien sollen knapp 500 Ärzte aus Kuba helfen, die Personalprobleme im öffentlichen Gesundheitssystem zu beheben. Das sei die »einzige Lösung, um die Schließung von Krankenhäusern in der Region zu vermeiden«, teilte der Präsident der süditalienischen Region, Roberto Occhiuto, am Donnerstag via Facebook mit. Das mit der kubanischen Regierung geschlossene Abkommen sieht ab September für zwei Jahre den Einsatz von 497 Ärzten der sozialistischen Inselrepublik vor.
Nach Angaben der Anaoo, der größten Ärztegewerkschaft Italiens, fehlen dem Land rund 10.000 Medizinerinnen und Mediziner. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Zum einen die strengen Zulassungsbeschränkungen an den Universitäten sowie der Mangel an Studienplätzen. Vier von fünf Bewerbern werden nicht aufgenommen. Den Platz ergattert, steht das nächste Problem vor der Tür: Nicht alle Studierenden können sich für eine Spezialisierung einschreiben, weil keine finanzielle Unterstützung etwa in Form von Stipendien angeboten wird. Hinzu kommt die Ausgaben- und Einstellungsobergrenze im öffentlichen Gesundheitswesen, die durch die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre noch weiter verschärft wurde. Nicht einmal die Coronapandemie konnte verhindern, dass das letzte Finanzgesetz zu weiteren Kürzungen der Gesundheitsausgaben führte. Nicht selten entscheiden sich die Mediziner deshalb für den lukrativeren »Privatmarkt«.
Die Folgen dieser Politik waren besonders zu Beginn der Pandemie sichtbar. Es fehlte nicht nur an Einrichtungen und Betten, sondern auch an Personal. Angesichts der Notlage mussten Ärzte ohne Spezialisierung, solche, die sie gerade begonnen hatten, und sogar pensionierte Mediziner eingestellt werden. Schon damals, im Frühjahr 2020, mussten kubanische Ärzte in Italien Abhilfe leisten: Die medizinische »Henry-Reeve«-Brigade kam auf Einladung der jeweiligen Regionalpräsidenten nach Piemont und in die Lombardei. »Wir haben dasselbe getan, was die nördlichen Regionen in einem anderen Notfall getan haben. Und wir werden dieses System so lange nutzen, bis die freien Stellen in den Krankenhäusern besetzt werden können«, sagte Occhiuto, der von der rechten Partei Forza Italia ist.
Allerdings könnte diese Politik auch negative Konsequenzen haben: In Italien nimmt die Auslagerung von Dienstleistungen zu, die sich auf die Qualität als auch auf Löhne und Arbeitsbedingungen auswirken. Der Präsident des Verbandes der Ärztekammern, Filippo Anelli, erklärte am Donnerstag, man habe nichts gegen die kubanischen Kolleginnen und Kollegen, doch er befürchte, dass die Ausnahmeregelung für die Anerkennung von Titeln das Qualitätsniveau senken könne. Im Fall der kubanischen Mediziner ist das Risiko jedoch weniger ein vermeintlicher Qualitätsverlust als die Möglichkeit, Lohnkosten nach unten zu drücken. Das ist auch der Grund, warum Occhiuto, als vor Monaten die ersten Gerüchte über ein Abkommen mit Kuba aufkamen, dies noch vehement abgestritten hatte.
Es wird wohl nicht das letzte Mal sein, dass das zersplitterte und mangelhafte italienische Gesundheitssystem auf die Hilfe Kubas angewiesen sein wird. In der offiziellen Mitteilung der Region heißt es nämlich auch, man habe »in den letzten Monaten beschlossen, diese heikle Verhandlung vertraulich zu behandeln, auch weil in der Zwischenzeit andere öffentliche und private Einrichtungen beharrlich den gleichen Weg erkundeten«. Ein Beweis für den Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen regionalen Institutionen, der der zunehmenden Provinzialisierung des italienischen Gesundheitswesens geschuldet ist. So ist ein G7-Staat gezwungen, auf die hervorragenden Dienste eines kleinen Landes zurückzugreifen, das gerne an anderer Stelle als vermeintlich unterentwickelt diskreditiert wird und mit einem kriminellen Wirtschaftsembargo der USA in die Knie gezwungen werden soll.