Von Volker Hermsdorf
Kolumbiens Staatschef Gustavo Petro bezeichnete das Abkommen mit der ELN-Guerilla zu Recht als historisch. Nach vier Jahrzehnten, in denen fünf Regierungen nicht willens oder in der Lage dazu waren, ist Petro zum ersten Mal ein Pakt mit der ELN gelungen. Die in Havanna vereinbarte Feuerpause soll zunächst die unmittelbaren Auswirkungen der bisherigen Kämpfe abmildern. Ab 14. August werden die Gespräche in Venezuela fortgesetzt. Ihr Ziel ist die endgültige Beendigung des ältesten bewaffneten Konflikts auf dem südamerikanischen Kontinent.
Während Petro der Regierung in Havanna für ihre Unterstützung dankte und betonte, dass die Verhandlungen ohne Kubas Hilfe nicht soweit gekommen wären, führt Washington die sozialistische Inselrepublik weiterhin auf einer Liste von Ländern, die angeblich den Terrorismus fördern. Petros rechter Vorgänger Iván Duque, der die Gespräche mit der ELN 2019 abgebrochen hatte, galt in Washington dagegen als Verbündeter und Vertreter westlicher Werte. Zugleich wurde Venezuela, dem als Gastgeberland der weiteren Gespräche ebenfalls eine wichtige Vermittlerrolle für Frieden in der Region zukommt, von den USA und der EU mit Sanktionen belegt, die vor allem die Bevölkerung treffen.
Der Friedensprozess in Kolumbien, der Umgang mit dessen Unterstützern in der Region und ein fehlendes Bekenntnis zur gewählten Regierung des Linken Petro entlarvt die Phrasen westlicher Politiker. Mitte vergangener Woche warnten mehr als 400 Intellektuelle und Politiker aus aller Welt, darunter Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, der spanische Richter Baltasar Garzón, Labour-Chef Jeremy Corbyn, der ehemalige französische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon und drei ehemalige Präsidenten, vor einem »sanften Staatsstreich« in Kolumbien. Sie prangerten an, dass die traditionellen rechten Kräfte sich organisierten, um eine Ordnung wiederherzustellen, die durch Ungleichheit, Umweltzerstörung und staatlich geförderte Gewalt gekennzeichnet sei.
Die exakt zu diesem Zeitpunkt in Kolumbien weilende deutsche Außenministerin Annalena Baerbock verlor über die Angriffe der Rechten auf ihre Gastgeber kein einziges Wort. Statt dessen schwadronierte sie auf einer Pressekonferenz über den Umstieg auf »erneuerbare Energien« und lobte Kolumbiens Absicht, sich von der »fossilen Abhängigkeit« zu trennen. Baerbock unterschlug, dass die zum großen Teil aus Kolumbiens Steinkohlebergwerk El Cerrejón stammenden deutschen Kohleimporte unter ihrer Regierung allein im vergangenen Jahr verdreifacht wurden.
Textquelle: Tageszeitung junge Welt, Ausgabe vom 12.06.2023, Seite 8 / Ansichten