Havanna: Provokationen vor Kulturministerium. US-Botschaft in Kuba heizt auf Twitter Stimmung an. Von Volker Hermsdorf
Eine Gruppe von rund 20 Personen hat am Mittwoch vormittag (Ortszeit) in Havanna ein als Dialog geplantes Treffen im Kulturministerium als Vorwand für eine Aktion genutzt, mit der eine angebliche Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Kuba dokumentiert werden sollte. Seit dem frühen Morgen hatten sich als »Bewegung 27N« bezeichnende »Künstler« und »unabhängige Journalisten«, die für US-finanzierte Medien tätig sind, ihre Anhänger in Netzwerken dazu aufgefordert, vor das Ministerium zu ziehen. Wie der staatliche US-Propagandasender Radio and TV Martí behauptete, wollten sie dort »Texte und Gedichte von José Martí vortragen«. Tatsächlich verhinderten sie einen Dialog mit drei eingeladenen Vertretern von Künstlergruppen. Als das Ministerium die Forderung nach einem »Gespräch« mit den etwa 20 Personen, die plötzlich auf einer Teilnahme bestanden, ablehnte, eskalierte die Situation.
Es sei nicht ehrlich, sich als Künstler zu tarnen und staatliche Einrichtungen sowie deren Mitarbeiter zu provozieren, »während das Land mit Zähnen und Klauen gegen US-Blockade, Pandemie und Tod kämpft. Unsere Behörden sind keine Medienplattformen«, erklärte Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel im Anschluss über Twitter. Der Zwischenfall fand statt, genau zwei Monate nachdem rund 200 Personen, darunter einige Kulturschaffende, am 27. November am selben Ort aufmarschiert waren und eine Delegation der Anwesenden von Vizeminister Fernando Rojas zu einem mehrstündigen Gespräch empfangen worden war. Dabei war unter anderem der Dialog über die Kulturpolitik und andere Themen vereinbart worden.
Unter die zunächst friedlich Versammelten hatten sich damals auch Sympathisanten einer sich »San-Isidro-Bewegung« nennenden Gruppe gemischt, von denen einige zuvor in Netzwerken die US-Regierung zu einer Invasion in Kuba aufgefordert hatten. Zahlreiche Künstler distanzierten sich daraufhin von den Akteuren. Mehrere tausend meist junge Menschen zeigten zwei Tage später in einer Demonstration ihre Unterstützung für das sozialistische Gesellschaftssystem. »Wir lassen die Einmischung unserer Feinde nicht zu. Wir lösen unsere Probleme untereinander«, hatte Díaz-Canel die von Washington unterstützte Aktionen auf der Kundgebung zurückgewiesen.
Der Versuch einer Neuauflage verlief am Mittwoch nach dem gleichen Muster. Medienwirksam hatten sich Systemgegner am Tag vor dem Geburtstag des Nationalhelden José Martí vor dem Kulturministerium versammelt. Die Anwesenden lehnten eine Einladung in den Garten der Behörde kategorisch ab, die erfolgt war, weil in Havanna – nach einem erneuten Anstieg von Coronainfektionen – derzeit größere Ansammlungen auf Straßen und öffentlichen Plätzen gegen die Hygieneregeln der Gesundheitsämter verstoßen. Auch eine Aufforderung von Mitarbeitern des Ministeriums, die Versammlung vor dem Gebäude zu beenden, wurde ignoriert.
Als Kulturminister Alpidio Alonso – der Bereitschaft zum Dialog bekräftigte, aber ein von US-finanzierten Medien inszeniertes Spektakel ablehnte – einem Zuarbeiter des in Madrid publizierten Contraportals Diario de Cuba das ihm ins Gesicht gehaltene Handy zur Seite schlug, hatten die Akteure ihre »Szene«, die live verbreitet wurde. Die US-Botschaft in Havanna habe sofort ihre Besorgnis ausgedrückt, »dass die kommunistischen Behörden friedliche Demonstranten unterdrücken, die sich um Meinungsfreiheit bemühen«, verbreitete Radio and TV Martí. »Wir fordern die Regierung zum Dialog mit dem Volk auf, statt auf Verhaftungen, Gewalt und das Abschalten des Internets zurückzugreifen«, ergänzte die US-Vertretung ihre Vorwürfe per Twitter.
Obwohl die Aktion am Mittwoch nur wenige Unterstützer fand, sehen Kulturvereinigungen darin eine Aktion nach dem Drehbuch für sogenannte Farbenrevolutionen. Der Schriftsteller- und Künstlerverband UNEAC, die Künstlervereinigung Hermanos Saíz und das Kulturinstitut Casa de las Américas warnten, das Medienspektakel sei »Teil eines provokativen und destabilisierenden Szenarios«, das zu einer Zeit, »in der das Land zunehmend unter Coronainfektionen leidet, ohne dass irgendeine der US-Maßnahmen, die uns den Zugang zu grundlegenden Gesundheits- und Lebensunterhaltsressourcen verwehren, gelockert wurde«.