Jahresrückblick 2021: Kuba. Vom Westen gesteuerte Aktionen gegen das Land erneut gescheitert. Wirtschaftskrise bleibt Herausforderung. Von Volker Hermsdorf
Die wirtschaftliche Lage Kubas, die Präsident Miguel Díaz-Canel Ende 2020 als »die schwierigste seit Jahrzehnten« bezeichnete, hat sich in diesem Jahr nicht wesentlich verbessert. Allerdings ist durch den mit der erfolgreichen Impfkampagne erreichten Rückgang von Covid-19-Infektionen und die Wiederbelebung des Tourismus zum ersten Mal seit Monaten ein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen. Die aktuelle Entwicklung soll am Dienstag auf der letzten Parlamentssitzung des Jahres erörtert werden. Dabei stehen auch der Wirtschaftsplan für 2022 sowie ein neues Familiengesetz zur Abstimmung.
Wirtschaftskrise
Bereits in der Sitzung am 27. Oktober berichtete Wirtschaftsminister Alejandro Gil Fernández den Abgeordneten, dass Kubas Ökonomie von 2020 bis Ende 2021 – als Folge der Pandemie und der US-Blockade – einen Rückgang von 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verzeichnet hatte. 2021 werde das Land insgesamt rund 700 Millionen US-Dollar weniger einnehmen als veranschlagt. Vor allem das durch den Einbruch in der Tourismusbranche verursachte Defizit in der Staatskasse sei auf 2,4 Milliarden US-Dollar gestiegen, erklärte Gil Fernández. »In zwei Jahren hat unsere Wirtschaft mehr als drei Milliarden US-Dollar verloren. Es ist unmöglich, dass dies sich nicht auf das tägliche Leben der Bevölkerung auswirkt«, räumte der Minister vor den Abgeordneten ein.
Auch 2021 litten die Bürger weiterhin unter Engpässen bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten. Warteschlangen vor fast leeren Geschäften, hohe Benzinpreise, Stromausfälle und Transportprobleme machten den Menschen noch immer zu schaffen. Obwohl der Staat knapp 1,4 Milliarden US-Dollar für den Import von Nahrungsmitteln ausgab, kam in Kuba dieses Jahr weniger an als in den Vorjahren. Laut Gil Fernández eine Folge gestiegener Kosten auf dem Weltmarkt. Die Preise für Lebensmittel, Treibstoff und Fracht hätten sich teilweise verdreifacht. Neben der US-Blockade erschwere auch eine weltweite Störung der internationalen Logistik den Import. »Im Moment haben wir Tausende von Containern mit internationalen Waren, die schon bezahlt sind, aber unter dem Einfluss von Covid-19 und der Blockade nicht ins Land gelangen konnten«, erklärte der Politiker.
Während die Zahl der Coronainfektionen in den ersten drei Quartalen kontinuierlich anstieg, hoffte Washington, das Land nun wirtschaftlich erdrosseln zu können. Kurz vor Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger Joseph Biden ließ der US-Präsident Donald Trump Kuba am 11. Januar erneut auf die US-Liste der Staaten setzen, die Terrorismus unterstützen sollen. Obwohl UN-Generalsekretär António Guterres erklärt hatte, er hoffe, dass der neue Präsident diese Maßnahme zurücknehmen werde, verfolgte Biden die restriktive Kuba-Politik seines Vorgängers unverändert weiter. Entgegen der Ankündigung im Wahlkampf verhängte die neue Regierung inmitten der Coronapandemie weitere Sanktionen. Trotzdem gelang es der sozialistischen Inselrepublik, eine ausreichende Menge der im Land entwickelten Covid-19-Impfstoffe zu produzieren, mit der die eigene Bevölkerung nahezu komplett immunisiert und andere Länder des globalen Südens unterstützt werden konnten. Laut der von der Universität Oxford betriebenen Onlineplattform Our World in Data ist Kuba mit Stand 17. Dezember das Land mit der zweithöchsten Coronaschutzimpfungsquote in der Welt.
Erfolgreich gegen Pandemie
Als Ergebnis sind die Ansteckungen mit dem Coronavirus seit dem Höchststand im Spätsommer ständig gesunken. Am Sonnabend meldete die Johns-Hopkins-Universität in Baltimore für Kuba eine Siebentageinzidenz von 4,1 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Die Entwicklung ermöglichte es, am 15. November den Präsenzunterricht für rund 1,6 Millionen Kinder wieder aufzunehmen. Am selben Tag öffnete das Land seine Grenzen für den internationalen Tourismus; zahlreiche Einschränkungen wurden aufgehoben. Während die Bevölkerung die Normalisierung des Alltagslebens und die Hoffnung auf wirtschaftliche Erholung feierte, riefen von den USA unterstützte Systemgegner ausgerechnet an diesem Tag zu neuen Protesten »gegen Menschenrechtsverletzungen in Kuba« auf. Offenbar in der Erwartung, damit Demonstrationen wieder aufleben zu lassen, die am 11. Juli zunächst friedlich als Protest gegen Versorgungsmängel begonnen hatten, dann aber zu Plünderungen und gewalttätigen Angriffen auf Geschäfte, Kliniken und staatliche Einrichtungen eskaliert waren.
Die Regierung in Havanna reagierte mit einer differenzierten Gegenstrategie. Während Präsident Díaz-Canel Verständnis für den Unmut vieler Bürger über Engpässe, Schlangestehen und Stromausfälle äußerte, gingen Ermittlungsbehörden und Justiz gegen Täter vor, denen Anstiftung oder Beteiligung an gewalttätigen Ausschreitungen vorgeworfen wurden. Zugleich präsentierten kubanische und internationale Medien Details über Fake News, mit denen die Aktionen vorbereitet und Berichte über sie manipuliert worden waren. Als immer mehr Belege für die Finanzierung der angeblich spontanen Proteste und deren Organisatoren durch US-Dienste, ausländische Stiftungen und NGOs auftauchten, machte die Regierung deutlich, dass Versuche, das Land zu destabilisieren und einen Regime-Change herbeizuführen, nicht geduldet würden. Hunderttausende Anhänger der Kubanischen Revolution unterstützten den harten Kurs bei Demonstrationen, Versammlungen und Kundgebungen in verschiedenen Teilen des Landes.
Einen Tag nach dem zu erwarteten Misserfolg der »neuen Proteste« setzte sich deren Hauptorganisator, der bis dahin unbekannte Dramaturg Yunior García Aguilera, nach Spanien ab, wo er unter anderem von Vertretern der Rechtsparteien Vox und Partido Popular erwartet wurde. Denen dienen Systemgegner wie García Aguilera als willkommenes Mittel zum Zweck, um sich als Gralshüter von Menschenrechten darzustellen, die in Europa zunehmend missachtet werden. Außerdem lieferte der Einsatz für angeblich verfolgte »Menschenrechtsaktivisten« der europäischen Rechten einen Vorwand, um die in den vergangenen Jahren verbesserten Beziehungen zwischen der EU und Kuba zu beschädigen.
Kooperation mit China
Das zielt offenbar nicht nur auf eine Schwächung der kubanischen Regierung ab, deren Erfolge im Kampf gegen die Folgen der Coronapandemie und solidarische Hilfe für Länder des globalen Südens angesichts eigenen Versagens für EU-Regierungen peinlich sind. Als verlässlichster und politisch stabilster Verbündeter Chinas und Russlands auf dem amerikanischen Kontinent gerät Kuba auch ins Fadenkreuz, um den zunehmenden Einfluss der beiden Großmächte in der Region zu reduzieren. Ein Ziel, das Rechte und Grüne in Europa mit den Machthabern im Weißen Haus verbindet. Propaganda und eventuelle Sanktionen gegen die sozialistische Inselrepublik könnten jedoch zum Bumerang werden und die EU gegenüber der wachsenden Präsenz Chinas und Russlands in Kuba ins Abseits drängen. So ist etwa der chinesische Huawei-Konzern führend am Ausbau des Internets auf der Insel beteiligt. Moskau und Beijing unterstützen auch den Auf- und Ausbau zahlreicher weiterer Infrastrukturprojekte. Chinas Präsident Xi Jinping bezeichnete die Beziehungen zwischen den beiden Ländern Ende August in einem Telefongespräch mit seinem kubanischen Amtskollegen als »Modell für die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungsländern«.
Nachdem der heute 61jährige gelernte Elektronikingenieur Díaz-Canel 2018 bereits das Amt des Staatschefs von Raúl Castro übernommen hatte, war er im April 2021 auf dem 8. Kongress der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) ebenso zu dessen Nachfolger als Erster Sekretär des Zentralkomitees gewählt worden. Damit wurde der Generationenwechsel auch in der Parteiführung umgesetzt. Eine der ersten Äußerungen des neuen KP-Chefs nach seiner Wahl trifft die Situation Kubas zum Ende des Jahres 2021. »Auch wenn es manchmal den Anschein hat, dass wir uns inmitten all der Schwierigkeiten nicht über Wasser halten können, werden wir plötzlich von unserer Widerstandsfähigkeit selbst überrascht«, sagte Díaz-Canel.