Möglicher US-Präsident Biden wird »sanfte« Destabilisierungspolitik Obamas fortsetzen. Inselrepublik hofft auf leichte Entspannung
Von Volker Hermsdorf
In Kuba ist der Wahlsieg von Joseph Biden am Wochenende mit der Hoffnung aufgenommen worden, dass der künftige Präsident seine Ankündigungen einhält und zumindest einige der US-Sanktionen lockert, unter denen die Bevölkerung inmitten der Coronapandemie besonders leidet. Trotzdem ist es der sozialistischen Inselrepublik bisher vergleichsweise gut gelungen, auch die »zweite Welle« der Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Das durch die US-Blockade geschwächte staatliche Gesundheitssystem erweist sich trotz der damit verbundenen Sanktionen gegenüber den privatisierten Einrichtungen anderer Länder als haushoch überlegen.
Während sich der nördliche Nachbar USA am Wochenende auf zehn Millionen mit dem Virus infizierter Menschen und eine Viertelmillion daran Verstorbener zubewegte, hatten sich in Kuba bis zum 7. November laut Angaben der Johns-Hopkins-Universität seit Anfang des Jahres 7.267 der rund 11,2 Millionen Einwohner mit dem Coronavirus infiziert, 130 Menschen verstarben daran. Auch gegenüber der mit einer Bevölkerung von 10,8 Millionen vergleichbaren Dominikanischen Republik auf der östlich von Kuba gelegenen Antilleninsel Hispaniola (129.645 Infizierte und 2.263 Verstorbene) oder dem mit 11,1 Millionen Einwohnern von der Bevölkerungszahl vergleichbaren Bundesland Baden-Württemberg (99.043 Infizierte und 2.110 Verstorbene) ist es Kuba gelungen, der Pandemie besser zu begegnen.
Alle Zahlen – das zeigen weitere Vergleiche – sprechen für das kubanische System. Die USA haben mit ihrer 328 Millionen zählenden Bevölkerung etwa 29mal so viele Einwohner wie Kuba, verzeichnen bisher aber mehr als 1.350mal so viele infizierte Menschen und – das scheint unglaublich – 1.824mal so viele an im Zusammenhang mit Covid-19 Verstorbene. Fakten, die von westlichen Medien und Politikern kaum reflektiert werden. Dabei liegen die Gründe für Kubas Erfolg im Kampf gegen die unkontrollierte Ausbreitung der Erkrankung auf der Hand.
Seit dem Sieg der Revolution vor 60 Jahren gehört die gesundheitliche Versorgung der gesamten Bevölkerung zu den vorrangigen Prioritäten des sozialistischen Landes. Dazu zählen die Ausbildung einer ausreichenden Zahl von Medizinern, Pflegekräften und Laboranten, die Verlegung des Schwerpunktes auf Prävention, statt auf Behandlung von bereits Erkrankten und der Ausbau eines flächendeckenden Gesundheitssystems bis in den letzten Winkel des Landes. Seit Beginn der Pandemie gelingt Kuba eine konsequente Nachverfolgung der Infektionsketten. Verpflichtende Schutzmaßnahmen, Maskenpflicht, temporäre Lockdowns, die Aufklärung der Bevölkerung und Vorsorge durch Medizinstudenten, die von Haus zu Haus gehen, und die – dank großzügiger Unterstützung aus China und anderen Ländern – zunehmenden Tests trugen dazu bei, dass sich das Leben in weiten Teilen des Landes inzwischen wieder normalisiert hat. Seit Ende Oktober kann Kuba sogar wieder ausländische Touristen empfangen und damit die durch US-Sanktionen verursachten Einbrüche bei den Deviseneinnahmen zumindest etwas kompensieren.
Zudem Kuba hat am 24. August als erstes lateinamerikanisches Land mit der klinischen Erprobung eines Impfstoffes gegen SARS-CoV-2 begonnen. Weltweit gehört die sozialistische Inselrepublik damit zu den ersten Ländern, die ein Vakzin in diese Phase gebracht haben. Die Ergebnisse der klinischen Erprobung des im Finlay-Institut entwickelten Serums mit der Bezeichnung »Soberana 01« hofft Institutsleiter Vicente Vérez bis Mitte Februar 2021 zu präsentieren. Am Mittwoch bestätigte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell den Beginn der klinischen Studien zu einem zweiten Impfstoffkandidaten mit dem Namen »Soberana 02«.
Damit stammen zwei der bislang 47 von der WHO registrierten weltweit entwickelten Impfstoffe aus Kuba. Die staatliche biopharmazeutische Unternehmensgruppe Biocubafarma versicherte, ausreichende industrielle Fertigungskapazitäten aufzubauen, um »Millionen von Impfdosen zu produzieren, die zum Schutz unserer Bevölkerung erforderlich sind, sobald die Untersuchungen erfolgreich abgeschlossen sind«. Auch bei der Behandlung von Covid-19-Patienten zeigt ein kubanisches Medikament positive Wirkungen. Wie das Zentrum für Molekulare Immunologie (CIM) am Mittwoch in Havanna mitteilte, wurde das gemeinsam mit dem indischen Unternehmen Biocon entwickelte Mittel »Itolizumab« jetzt sogar für eine klinische Studie in den USA, Mexiko und Brasilien zugelassen. Kubanische Forschungen hatten ergeben, dass dieses Medikament den Krankheitsverlauf mildern und die Sterblichkeitsrate bei schweren Fällen senken kann.
Artikel aus: Tageszeitung junge Welt vom 9. November 2020