Internationales Tribunal: Zahlreiche Zeugenaussagen untermauern Völkerrechtswidrigkeit von US-Blockade gegen Kuba. Von Ina Sembdner
Die Arbeit hat sich gelohnt: Nach langer Vorbereitungszeit tagte am 16. und 17. November das »Internationale Tribunal gegen die Blockade Kubas« im Plenarsaal Alcide de Gasperi im EU-Parlament in Brüssel. Und das Urteil fiel – nicht überraschend – deutlich aus (siehe Thema Seite 12/13). Die seit 1961 bis heute gegen die Republik Kuba verhängten umfangreichen politischen und ökonomischen Sanktionen seitens der Vereinigten Staaten verstoßen gegen internationales Recht. Zur umfassenden Vorbereitung hatte das Richtergremium bereits seit dem 13. November getagt, bevor die eigentliche Verhandlung am Donnerstag von der kubanischen Botschafterin in Brüssel, Yaira Jiménez Roig, eröffnet wurde. Es sei ein ganz besonderer Tag für Kubaner und die internationale Solidarität in aller Welt, erklärte Roig vor den 263 Delegierten europäischer Solidaritätsbewegungen für Kuba aus 21 Ländern. Das Tribunal habe eine hohe Symbolik mit großer Schlagkraft und Bedeutung zur aktuellen Zeit.
Der Justizangestellte David Rodríguez erklärte in der Einleitung des Verfahrens, dass der Fall aufgrund der eklatanten Menschenrechtsverletzungen, die durch die umfassende Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade verursacht werden, von dokumentarischen Beweisen gestützt untersucht wird. Diese wiesen auf die US-Regierung als verantwortliche Partei hin. Das hatte auch Kubas Außenminister Bruno Rodríguez Ende Oktober ein weiteres Mal bekräftigt, als er den finanziellen Schaden im jährlichen Bericht zu den Folgen der Blockade bezifferte: zwischen März 2022 und Februar 2023 mehr als 4,8 Milliarden US-Dollar. Seit dem Beginn der Strafmaßnahmen 1961 wurden dem Land so Verluste in Höhe von rund 160 Milliarden Dollar zugefügt.
Allein im Gesundheitssektor belaufen sich die Verluste durch die Blockade auf mehr als drei Milliarden US-Dollar. Als Zeugin der Anklage trat für diesen Bereich unter anderem Belinda Sánchez auf. Die Direktorin des Zentrums für Molekulare Immunologie in Havanna berichtete aus erster Hand von den Einschränkungen, die sie in ihrem Forschungsalltag aufgrund der Blockade erlebt. Dennoch konnte Kuba Covid-19-Impfstoffe entwickeln, woran auch Sánchez beteiligt war. Andere von Zeugen dargestellte Bereiche, die von der Blockade betroffen sind, waren etwa die Handelsbeziehungen mit Kuba, insbesondere in den Bereichen Lebensmittel und wirtschaftliche Zusammenarbeit; der Bereich der kulturellen Kooperationen oder auch die Auswirkungen der Blockade auf die interparlamentarischen und politischen Beziehungen zu der Inselrepublik – um nur ein paar zu nennen. Ein wichtiger Punkt vor allem für die anwesenden Delegierten der Solidaritätsbewegungen war die Behinderung der solidarischen Zusammenarbeit durch die Blockade und deren exterritoriale Auswirkungen – etwa beim Versuch, Spenden nach Kuba oder sogar innerhalb Europas zu transferieren. Hier reicht schon ein »falsches« Wort im Verwendungszweck, damit Banken die Transaktion unter Verweis auf die Blockade ablehnen.
Chefankläger Jan Fermon, belgischer Rechtsanwalt und Vorsitzender der Internationalen Vereinigung demokratischer Juristen (IADL), erläuterte gegenüber jW die Besonderheit eines internationalen Tribunals, einzelnen Personen zuzuhören, »wie sie ihre Erfahrungen und persönlichen Erlebnisse schildern, wie sich die Blockade auf ihre Arbeit oder sogar auf sie als Person ausgewirkt hat«. Fermon betonte, wie wichtig es auch gewesen sei, »dass die Veranstaltung hier im Europäischen Parlament stattfand, einem Parlament, das Kuba gegenüber so feindselig eingestellt war.« Mit Hilfe der Linksfraktion sei es jedoch ermöglicht worden, das Tribunal als strategische Initiative zu veranstalten. Und er zeigte sich beeindruckt davon, wie geduldig die Anwesenden zugehört hätten, er sei dankbar für diese Unterstützung.
Hintergrund: »Terrorunterstützer« Die Antwort fiel erwartet dürftig aus: Am 10. November wollte Außenpolitikexpertin Sevim Dagdelen im Bundestag von der Regierung in Erfahrung bringen, welche Kenntnisse sie über die »am 12. Januar 2021 durch die USA erfolgte Listung Kubas als staatlicher Terrorunterstützer (State Sponsors of Terrorism) auf den bilateralen Handel zwischen Deutschland und Kuba« habe. Staatssekretär Udo Philipp räumte in seiner Antwort zwar ein, dass Unternehmen über Schwierigkeiten bei Finanztransaktionen berichteten, die Bundesregierung jedoch über »keine belastbaren Daten« verfüge, »um die direkten und indirekten Auswirkungen zu beziffern«. Zur Frage, ob sich die BRD gegenüber Washington dafür einsetze, Kuba von dieser Liste zu entfernen, wird die grundsätzliche Bereitschaft angeführt und eingeräumt, dass dies ein »wichtiger Schritt« wäre »zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation im Land«. Dafür wird allerdings eingefordert, »dass Kuba sich stärker für privatwirtschaftliches Engagement öffnet und die Menschenrechte stärker achtet«. Für Dagdelen ein »Ausdruck mangelnder demokratischer Souveränität«, wie sie gegenüber jW erklärte. Die Außenpolitikerin fordert von der Bundesregierung: »Statt sich Washingtons Fremdbestimmung weiter treudoof gefallen zu lassen, muss die Ampel etwa durch Umsetzung der ›EU Blocking Regulation‹ Maßnahmen zur Abwehr der extraterritorialen Wirkung der US-Blockade ergreifen sowie gegenüber der Biden-Regierung auf die Beendigung des Wirtschaftskriegs gegen die kubanische Bevölkerung drängen.«