Möglicher US-Präsident Biden wird »sanfte« Destabilisierungspolitik Obamas fortsetzen. Inselrepublik hofft auf leichte Entspannung
Von Volker Hermsdorf
Für Kuba geht es bei der heutigen US-Wahl an diesem Dienstag darum, ob mit Donald Trump erneut jemand gewinnt, der versucht, die Wirtschaft der Insel »zu erdrosseln«, oder ob mit Joseph Biden ein Mann ins Weiße Haus einzieht, der zwar eine »Rückkehr zu Obamas Entspannungspolitik« ankündigte, damit aber vor allem die »Konterrevolution auf Filzlatschen« meint. So nannte einst der frühere DDR-Außenminister Otto Winzer das sozialdemokratische Konzept vom »Wandel durch Annäherung«. Dennoch hoffen viele Bürger der Inselrepublik auf einen Sieg von Biden und dessen Vizekandidatin Kamala Harris und auf eine Lockerung des Würgegriffs, mit dem die derzeitigen US-Machthaber Kubas Bevölkerung in die Knie zwingen wollen. Biden und Harris, so die Erwartung, würden die Rückkehr von Kreuzfahrtschiffen und US-Touristen nach Kuba erlauben sowie die Einschränkungen für Überweisungen in die Republik und für Familienbesuche aufheben.
Kuba war am Donnerstag auch das beherrschende Thema der Wahlkampfauftritte von Trump und Biden im Schlüsselstaat Florida. In Tampa warf der Präsident seinem Kontrahenten vor, »die Vereinigten Staaten in ein kommunistisches Kuba oder ein sozialistisches Venezuela« verwandeln zu wollen. Es gehe deshalb um die »Wahl zwischen dem amerikanischen Traum und einem sozialistischen Alptraum«. Unter dem Jubel seiner Anhänger versprach Trump: »Wir werden die Diktaturen in Kuba, Venezuela und Nicaragua weiter unnachgiebig bekämpfen.«
In Coconut Creek versicherte Biden am selben Tag: »Während meiner gesamten Karriere war ich gegen Diktaturen der Linken und Rechten.« Dann warf er Trump nicht etwa – wie die Vereinten Nationen – den völkerrechtswidrigen Charakter der Sanktionen vor, sondern behauptete: »Kuba ist heute nicht näher an Freiheit und Demokratie als vor vier Jahren.« Er griff die Argumentation von Expräsident Barack Obama auf, der im Dezember 2014 zur Blockade nur erklärt hatte: »Die Isolation Kubas hat nicht funktioniert.«
Trotz der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und des Abbaus von Sanktionen stand Obama für weitere Destabilisierungsversuche. Erst in seiner letzten Rede zur Lage der Nation forderte er den Kongress am 12. Januar 2016 auf: »Erkennen Sie an, dass der Kalte Krieg vorbei ist und heben Sie das Embargo auf.« Außerdem appellierte er an die Abgeordneten, das US-Gefangenenlager in Guantánamo zu schließen. »Es ist teuer, es ist unnötig, und es dient nur unseren Feinden zur Rekrutierung.«
Soweit will das Gespann Biden/Harris offenbar nicht gehen. Gegenüber der spanischen Agentur Efe kündigte Biden zwar an, »Trumps gescheiterte Kuba-Politik umzukehren« und die Linie Obamas wieder zu verfolgen, betonte jedoch zugleich, vor allem »die Freilassung der politischen Gefangenen zu fordern und die Menschenrechte zum zentralen Element« seiner Kuba-Politik zu machen. Harris will sich nicht festlegen. Im Efe-Interview erklärte sie, dass »die Aufhebung des Embargos gegen Kuba eine entfernte Möglichkeit wäre«, fügte aber hinzu: »Das Embargo ist das Gesetz, und es bedarf einer Kongressentscheidung, um es aufzuheben, oder es bedarf eines Präsidenten, der feststellt, dass Kuba eine demokratisch gewählte Regierung hat.« Von Biden ist das nicht zu erwarten. Seine »Vision« einer »sicheren, bürgerlichen und demokratischen Hemisphäre« klingt eher nach einem Signal für die antikommunistischen Hardliner in seiner Partei als nach der Bereitschaft, sich vom Ziel einer Destabilisierung Kubas, Venezuelas und Nicaraguas zu verabschieden.
Aber es gibt auch einen Hoffnungsschimmer. So redete Bidens Kampagnenberater für Florida, Christian Ulvert – anders als sein Chef – Klartext, als er die jüngsten US-Finanzsanktionen, die zur Schließung der Western-Union-Büros auf der Insel geführt haben, scharf kritisierte. »Es den Kubanoamerikanern inmitten einer globalen Pandemie zu verbieten, ihre Familien zu unterstützen, ist eine grausame Handlung, die insbesondere älteren und den am meisten gefährdeten Menschen schadet.«
Artikel aus: Tageszeitung junge Welt vom 3. November 2020