Von Volker Hermsdorf
Nach einer Analyse von Medienberichten über die aktuellen Vorgänge in Kuba warnen Soziologen, Wissenschaftler und Mediziner vor verrohenden Auswirkungen global inszenierter Fake-News-Kampagnen auf die Gesellschaft auch in anderen Teilen der Welt. Der im spanischen Exil lebende chilenische Soziologe Marcos Roberto Roitman Rosenmann beschrieb dazu am Donnerstag in der Onlinezeitung Clarín de Chile, wie westliche Medien die US-Blockade als Ursache für die Proteste auf der Insel weitgehend ausblenden.
Dabei hatte die US-Regierung 1960 als Ziel der Blockade vorgegeben, Kubas »Wirtschaft zu schwächen und dem Land Geld und Versorgung zu rauben, um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung hervorzurufen«. Nachdem das über 60 Jahre lang nicht gelungen ist, hoffen die Gegner des alternativen kubanischen Systems, ihr Ziel wegen der zusätzlichen Belastungen des Landes in der Coronapandemie jetzt erreichen zu können. In dieser Situation sei sich »der Westen heute einig in dem Bestreben, Kuba zu bekämpfen und nicht die Aggressoren«, stellte Roitman Rosenmann fest.
Diese Kampagne gegen Kuba trage zu einer allgemeinen Verrohung der Gesellschaft bei, warnte der Soziologe. »Da im Kapitalismus die Vorbereitung von Staatsstreichen, die Durchführung von Blockaden, die Ermordung von Präsidenten als normal gilt, halten wir solche Handlungen für einen Teil des gesellschaftlichen Lebens.« So »verhalten sich heute westliche Regierungen und Journalisten, wenn sie die Situation in Kuba beurteilen. Sie prangern nicht die Blockade an, sondern schützen diejenigen, die sie fördern und aufrechterhalten.« Die Berichterstattung verwandele kriminelle Gewalttäter, die inmitten einer gefährlichen Pandemie Mitbürger mit Steinen bewerfen und mit Macheten bedrohen, Fahrzeuge verbrennen, Geschäfte plündern und Gesundheitszentren attackieren, »in Befreier, in mutige Männer und Frauen, die sich furchtlos der despotischen Macht entgegenstellen, die sie unterdrückt«, fasst Roitman Rosenmann zusammen. Die »freie Welt« applaudiere den skrupellosen Akteuren, »denn sie kämpfen ja gegen eine kommunistische Diktatur«.
Doch das, »was heute in Kuba geschieht, ist kein Problem Kubas. Es ist eine Gefahr für die Welt, die sich heute nur in Kuba manifestiert«, interpretiert der bekannte kubanische Immunologe Agustín Lage Dávila die Folgen der Kampagne gegen sein Land in einem am vergangenen Mittwoch in der Granma dokumentierten Blogeintrag. Er fühle sich in diesen Tagen an eine Science-Fiction-Serie der 50er Jahre erinnert, »in der eine kolonisierende außerirdische Zivilisation Technologien anwandte, um die Gedanken der armen Erdbewohner zu kontrollieren, die keinen Weg fanden, sich davon zu befreien«. »Wir konnten uns nicht vorstellen, dass wir 60 Jahre später einen solchen Konflikt tatsächlich erleben würden, nicht mehr in einer fiktiven Serie, sondern in den Tagesnachrichten. Denn heute sind derartige Technologien in den Medien vorhanden, und es braucht keine Außerirdischen, weil die hegemonialen Machtzirkel des globalisierten Kapitalismus eine riesige Maschinerie kontrollieren, die diktiert, wie man in jedem anderen Land zu denken hat, und nicht zögert, dafür Manipulationen und Lügen einzusetzen«, beschrieb der Wissenschaftler seine Wahrnehmung.
»Wohin wird die Menschheit treiben, wenn wir all dem nicht Einhalt gebieten?« fragt der Arzt besorgt. »Wird die Kultur des Humanismus, der Gerechtigkeit und des Wissens, die seit Jahrhunderten von den Menschen gesät und gepflegt wird, in der Lage sein, den Weg zu korrigieren?« Deshalb, so folgert er, »müssen wir all diejenigen in der Welt, die heute fragen, was in Kuba passiert, korrigieren und sie bitten, sich zu fragen, wohin der globale Kapitalismus und Imperialismus die Menschheit führt. Die Gefahr besteht für alle, und wir wissen, woher sie kommt.«
Quelle: Tageszeitung junge Welt vom 20. Juli 2021