Jahresrückblick 2020. Heute: Kuba. US-Blockade und Coronapandemie treffen Wirtschaft hart. Kampf dagegen stärkt Gesellschaftsmodell
Von Volker Hermsdorf
Für Kuba war 2020 »das schwierigste Jahr der letzten Jahrzehnte«, sagte Präsident Miguel Díaz-Canel am vergangenen Donnerstag zum Abschluss der letzten Parlamentssitzung des Jahres. Inmitten der Coronapandemie hatten die USA ihre seit 60 Jahren verhängte Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade Woche für Woche in bisher ungekanntem Ausmaß verschärft und versucht, die Energieversorgung komplett lahmzulegen sowie dem Land in großem Stil Devisen zu entziehen.
Zwar verfehlte die US-Regierung auch in diesem Jahr erneut ihr erklärtes Ziel, »Kubas Wirtschaft zu erdrosseln«, doch Blockade und Pandemie stürzten das Land in eine schwere Versorgungskrise. »Sie haben auf uns geschossen, um uns zu töten, doch wir leben«, fasste Díaz-Canel die dramatische Situation zusammen. Obwohl die sozialistische Gesellschaftsordnung ihre Widerstandskraft und Stabilität auch in diesem Krisenjahr bewiesen habe, warnte der Staatschef vor »übermäßigem Optimismus« und stimmte die Bevölkerung damit auf ein schwieriges Jahr 2021 ein.
Einbruch des Tourismus
Die Wirtschaft verzeichnete 2020 statt des noch zu Beginn des Jahres angepeilten Wachstums von einem Prozent eine Abnahme um nahezu elf Prozent. Hauptursachen dafür waren der Einbruch des Tourismus, einer der Haupteinnahmequellen des Landes, mit einem Minus von rund 70 Prozent, der Rückgang von Produktionstätigkeiten und Dienstleistungen sowohl im staatlichen als auch im nichtstaatlichen Sektor sowie ein Einbruch bei Importen und Exporten. Gleichzeitig belastete der Anstieg der Gesundheitsausgaben den Staatshaushalt.
Trotz dieser Probleme sollen die staatlichen Investitionen im kommenden Jahr um 22 Prozent aufgestockt werden. Mit den zusätzlichen Budgets soll vor allem die Produktion von Lebensmitteln und Medikamenten gesteigert, sollen erneuerbare Energiequellen und der Wohnungsbau gefördert, Zement- und Stahlwerke modernisiert sowie die touristische Infrastruktur verbessert werden. Derzeit ist allerdings nicht erkennbar, wie realistisch die ambitionierten Pläne sind.
Während Díaz-Canel für 2021 ein Wachstum zwischen sechs und sieben Prozent ankündigte, prognostiziert die bundeseigene Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing (GTAI) in ihrer jüngsten Analyse »aufgrund des weiterhin schwachen Fremdenverkehrs« ein Plus von lediglich 2,3 Prozent. Damit würde Kuba die Verluste des laufenden Jahres nicht annähernd ausgleichen können. Die gegenüber 2019 um 15 Prozent auf rund 8,3 Milliarden US-Dollar (6,9 Milliarden Euro) zusammengeschmolzenen Devisenreserven könnten dann im kommenden Jahr auf 7,3 Milliarden US-Dollar (sechs Milliarden Euro) sinken. Trotzdem hält die Regierung es für möglich, das für die zweite Stufe des Mitte 2017 beschlossenen »Nationalen Plans zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung bis zum Jahr 2030« angepeilte Wachstum noch zu erreichen. Dieser Plan für kurz-, mittel- und langfristige Ziele sieht drei Etappen der ökonomischen Entwicklung vor, die die Zeiträume von 2019 bis 2021, von 2022 bis 2026 und von 2027 bis 2030 umfassen.
Große Hoffnungen setzt Havanna dabei auf die seit längerer Zeit angekündigte »Aktualisierung des Wirtschaftsmodells«, die am 1. Januar mit der Abschaffung des seit 2004 bestehenden doppelten Währungssystems eingeleitet wird. Von diesem Stichtag an ist der bisher als »Moneda Nacional« bezeichnete kubanische Peso (CUP) mit einem festen Wechselkurs von 24 CUP zum US-Dollar das einzige Zahlungsmittel auf der Insel. Die Neuordnung, die einer Abwertung gleichkommt, sei zwar »notwendig«, aber »nicht die magische Lösung für alle in unserer Wirtschaft vorhandenen Probleme« und zudem »nicht ohne Risiken«, hatte Díaz-Canel am 10. Dezember eingeräumt. In kubanischen Medien äußern Bürger zunehmend Befürchtungen, dass die Anhebung der Löhne, Gehälter und Renten nicht den Kaufkraftverlust durch steigende Preise ausgleichen könne.
International hohes Ansehen
Außenpolitisch ist Kubas Ansehen durch den weltweiten Einsatz von Fachkräften zur Bekämpfung der Coronapandemie weiter gestiegen. Trotz der Wirtschaftskrise im eigenen Land waren in diesem Jahr rund 3.000 Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger mit 53 Brigaden des Henry-Reeve-Kontingents in 39 Ländern im Einsatz. Obwohl die USA versuchten, das solidarische Finanzierungsmodell zu diskreditieren, bei dem jeweils ein Drittel der Einnahmen an das medizinische Personal, das kubanische Gesundheitswesen und für Hilfseinsätze in ärmeren Ländern gezahlt wird, überwogen die Anerkennung und der Dank an die Henry-Reeve-Brigaden.
Auch Washingtons Pläne, Kuba politisch zu isolieren, schlugen fehl. Havanna konnte seine Beziehungen nicht nur zu China, Russland, Vietnam und anderen befreundeten Nationen, sondern auch zu einer Reihe von EU-Ländern einschließlich Deutschlands ausbauen. Die Wahlerfolge der Linken in Bolivien und Venezuela bremsten zudem die neoliberale Gegenoffensive in Lateinamerika und stärkten Kubas Position auf dem Kontinent. Hoffnungen auf ein neues »Tauwetter« nach dem Wahlsieg Joseph Bidens sind zwar verhalten, doch immerhin hatte der künftige US-Präsident vor seiner Wahl angekündigt, »Trumps gescheiterte Kuba-Politik umzukehren« und »die Linie wiederherzustellen, die unter Barack Obama im Weißen Haus verfolgt wurde«. Und die kommende US-Vizepräsidentin Kamala Harris hatte erklärt, einige »Beschränkungen, die Donald Trump Kuba auferlegt hat«, aufzuheben.
Obwohl die Auswirkungen der US-Blockade, Versorgungsmängel, lange Warteschlangen vor den Geschäften und fehlende Überweisungen von Verwandten viele Kubaner zermürben, hat der Erfolg bei der Eindämmung der Coronapandemie das Vertrauen in das sozialistische Gesellschaftsmodell gestärkt. Das Land verzeichnete bis Dienstag mit 10.242 nachgewiesenen Coronainfektionen und 137 Fällen von an oder mit dem Virus Gestorbenen nur einen Bruchteil der 214.454 Erkrankten und 4.100 Verstorbenen des ähnlich stark bevölkerten Bundeslandes Baden-Württemberg. Ganz zu schweigen von Nachbarländern in der Region oder den USA.
Kubas Bevölkerung profitiert von einem gut organisierten, auf Prävention ausgerichteten staatlichen Gesundheitssystem. Mit den eigenen, sich in Testphasen befindenden Impfstoffen »Soberana 1« und »Soberana 2«, dem weltweit einzigartigen Nasensprayimpfstoff »Mambisa« und dem vierten derzeit entwickelten Vakzin »Abdala« beweisen die kubanischen Forschungslabors und pharmazeutischen Betriebe, die trotz Blockade auf Weltniveau sind, zudem ihre Leistungsfähigkeit und Unabhängigkeit von ausländischen Unternehmen. Wie andere Länder hofft Kuba zum Jahreswechsel, die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie im kommenden Jahr reduzieren zu können. Und für Millionen Menschen im globalen Süden bieten die auf der Insel entwickelten Covid-19-Impfstoffe und Medikamente eine Chance, die Pandemie zu überleben.